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Christliches Kunstblatt für Kirche, Schule u. Haus — 50.1908

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Nr. 3 (März 1908)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44122#0111
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hebende und -wölbende Ban hat nach
ihm in der ungebrochenen Rundung des
Bogens seinen natürlicheren Ausdruck.
Die Baukunst der Zukunft wird daher
mehr an die älteren Deutschen, den sog.
romanischen Stil anknüpfen müssen. Die
Gotik ist ihm „zu einseitig zentrales
geistiges Streben". Aber um eines beneidet
er die mittelalterlichen Dome wie die
griechischen Tempel und Theater, daß sich
nämlich in ihnen, dort die ganze Christen-
heit, hier ein ganzes Volk versammelte,
um Herz und Sinne einmütig zu dem
erheben zu lassen, was ihnen allen als
höchstes, gemeinsames Gut erschien. Wie
arm kommt ihm daneben die reiche
moderne Welt vor init allen Schätzen und
Mitteln ihrer Technik und ihres Wissens;
fehlt ihr doch die Einheit des Fühlens
und Denkens, das Zentrum des Lebens,
Abb. ll. A u s d em Innern d er CH ristns- . .. crr,
kirche in K ° rl 8 rnhe „das Herz selbst, dessen Blut alle Glieder
durchströmt!"
Gegenüber von dieser einheitlichen kirchlichen Kunst des Mittelalters
weist die neue große Kunst der Renaissance zivei einander widerstreitende Elemente
auf: ihr Inhalt ist ihr allerdings zunächst noch fast ganz in den Bildern des
christlichen Glaubens gegeben; was sie aber zur großen Produktivität innerlich
anspornt, das ist der neuerwachte an der Anschauung der Antike genährte Form-
und Schönheitssinn des Südländers. Schon ein Giotto und Cimabue weisen
nicht mehr die reine, frommkindliche Innerlichkeit der Kölner Schule ans; bei
den Florentinern ist das Studium der antiken Plastik bereits das durchschlagende
El ement der künstlerischen Produktion geworden. In Raffael haben sich die beiden
vo n grundsätzlich verschiedenen Ausgangspunkten herkommenden Ströme zu einem
Lebenswerk von wunderbarster Harmonie vereinigt. Klassische Formgestaltung
und religiöse Tiefe und Innerlichkeit halten sich bei ihm die Wage. Aber schon in
seinem großen Zeitgenossen Michelangelo treten diese beiden Elemente wieder
auseinander. Er ist wohl die tiefere religiöse Natur, aber der Ausdruck, den
er dafür findet, ist viel mehr antik, ja „heidnisch", wenn man will, als dies
bei Raffael der Fall ist. Indem er also das Religiöse mit antiken Mitteln
durch die titanische Steigerung aller sinnlichen Formen anszudrücken liebt und
weiter durch den inneren Kampf der Seele, der schon in ihm anhebt und sich
in seineil Werken spiegelt, geht bei ihm die reine Schönheit Raffaels natur-
gemäß verloren. Bei den späteren italienischen Malern aber hat es die Freude
am sinnlich Schönen gewonnen über den religiösen Stoff. Dieser ist ihnen bloß
noch Mittel für ihre Darstellungsknnst. So schon bei Giulio Romano, dem
 
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