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Christliches Kunstblatt für Kirche, Schule u. Haus — 50.1908

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Nr. 3 (März 1908)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44122#0110
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Jesus, dem Christus, steht das Gottesreich der Erde noch näher. Es soll ja
„zu uns kommen". Allein die sinkende römische Welt macht die Kluft zwischen
Jenseits und Diesseits immer tiefer; das wahre Leben ist nur in der Flucht
aus dieser Welt, in der Ergreifung des reinen Jenseits zu finden. Diese mönchisch-
aszetische Stimmung ist nun ihrem ganzen Wesen nach durchaus unsinnlich und
unkünstlcrisch. Die wunderbare Schönheit der Worte Jesu, die ein viel ruhigeres,
versöhnteres Verhältnis zur Natur aufweist, zeigt den ganzen Abstand von dieser
späteren Denkrichtung. Und doch hat auch sie nach fast tausendjährigem Ringen
wider alte und neue Feinde ihren künstlerischen Ausdruck gefunden, wider einen
Ausdruck, wie er reiner und vollendeter nicht gedacht werden kann.
Woher jetzt dieser Umschwung,
diese Wendung wieder zum sinnlichen
Ausdruck? Die katholische Frömmig¬
keit, so sehr sie weltflüchtige Jenseits¬
stimmung ist, glaubt doch an die
Möglichkeit der Gegenwart des Gött¬
lichen im Irdischen, Sinnlichen. War
diese Gegenwart früher auf das
Wunderbare und expreß Heilige be¬
schränkt (Märtyrerreliquien u. dgl.),
warum sollte das Göttliche nicht auch
im menschlich Erhabenen erscheinen
können? Ist es nicht der verkörperte
Triumph des Geistes, ein Bauwesen
zu schaffen, das in kühnem Schwünge
über sich selber hinausführt, in dem
das Irdische ganz zum Träger des
Ueberirdischen wird, wie es ja das
Dogma von der Menschwerdung
Gottes voraussetzt? In den maje¬
stätischen Domen des Südens, mehr
noch in den himmelanstrebenden Gottes-
häusern des Nordens, im gotischen Stile hat die reine Innerlichkeit der religiösen
Baukunst ihr Höchstes geleistet; in der Malerei und Skulptur, die sich nut ihren
Kunstwerken harmonisch dem Bau angliedern, hat er treue Helfer gefunden,
die dem Ganzen seine ebenso erhabene als ins Innere dringende Wirkung sichern.
In dem ragenden, sich zuspitzenden Gewölbebau ist der Gegensatz von tragenden
Wänden und lastender Decke überwunden, die Wände selbst führen in kühnem
Schwünge nach oben.
Doch kann Planck von seinem Standpunkt aus doch nicht dem gotischen
Baustil die Palme der Schönheit zuerkennen. Durch die Spitze scheint ihm die
Linie der reinen Schönheit gebrochen. Das Ganze erscheint ihm, um einen
starken Ausdruck zu gebrauchen, zu sehr nach oben gezogen, was insbesondere in
der Starrheit vieler Ornamente zum Ausdruck kommt; der sich selbst empor-
 
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