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Christliches Kunstblatt für Kirche, Schule u. Haus — 50.1908

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Nr. 3 (März 1908)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44122#0109
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Tempels: im Vordergrund die schlanken ragenden Säulen, die Bilder des sich
selbst tragenden Lebens, im Innern das hehre Bild der Gottheit, die nichts
anderes ist als der persönliche Repräsentant der Natur und Menschenleben
durchwaltenden Mächte und Kräfte. Aber oben quer übergelegt die Decke,
zunächst wohl schützend, bald aber auch drohend und fragend, ob sie nicht die
ganze Herrlichkeit der Götter- und Menschenwelt unter sich begrabe. All die
herrlichen Giebel erscheinen zugleich als die drohenden Wolken der blinden
Schicksalsmacht. Noch schärfer ist ja das griechische Bewußtsein von der Vergäng-
lichkeit aller Erdenschönheit im griechischen Drama, der Tragödie, zum Aus-
druck gekommen. Kurz geuug ist denn auch dieser erste Erdentag der großen
Kunst gewesen, all die späteren großen Werke können nur die Zersetzung des
alten Glaubens und seiner
großen Kunst offenbaren,
auch ein Aristophanes
kann sie nicht aufhalten.
Die klassische Epoche —
das Zeitalter eines Phi-
dias und Perikles, eines
Aeschisios und Sophokles
— war nur auf dem
Punkt möglich, da der
fromme Väterglaube noch
stark genug war, um sich
mit den Mitteln einer
neuen ebeit erst durch die
Siege über die Perser
Abb. 9. ,A »f e r st c h u n g C h r i sti." K a l k st e r n - R e li e f a n . '
ber Kanzel wand derLhristuskirche von F. Dietsche heraufgefuhrten Zelt rel-
uen und völligen Aus-
druck zu verschaffen. Hat er diesen erreicht, dann ist auch seine Zeit unwieder-
bringlich dahin. Denn hat es die neue Zeit gewonnen, dann treiben die zer-
setzenden Kräfte der Welt ihr Spiel, eine Tatsache, die in der großen Kunst-
epoche am Ausgang des Mittelalters ihre überraschende Parallele hat.
Der naiv natürliche Schönheits-Kunstsinn der Griechen konnte so wenig
von Dauer sein, als die Kindheit sich vor der erwachenden Reflexion des reifen-
den Menschen bewahren kann. Hand in Hand mit der Erweiterung und Be-
reicherung des Lebens muß eine Vertiefung gehen, die nicht zu erreichen ist
ohne den inneren Bruch, ohne die Entzweiung des natürlichen Menschen mit
seinem wahren geistigen Ich. Diese Periode der inneren Auflösung und Zer-
setzung machte die griechisch-römische Welt reif für den Glauben an den allmäch-
tigen und heiligen Gott, an den — im Gegensatz zu der durch Sünde und
Streit innerlich und äußerlich zerrissenen Welt — mit sich selbst einigen er-
habenen Gotteswillen. Und in der Gestalt Zesu, des schlichten Menschensohnes,
fand sie die Kraft zum Glauben an den väterlichen Willen Gottes, der sie mit
sich selbst versöhnen und sie zu einem Reich des Friedens vereinigen will. Bei
 
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