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Christliches Kunstblatt für Kirche, Schule u. Haus — 50.1908

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Nr. 4 (April 1908)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44122#0148
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vielmehr zur greifbaren Offenbarung einer Klnft, die sich im Leben der Zeitgenossen
selbst aufgetan hat und immer mehr erweitert. Es ist Planck's großer Jammer,
daß das „sittlich religiöse Zentrum" sich immer mehr geschieden hat von der immer
weltlicher, immer naturalistischer gewordenen äußeren Kultur. Und so lange jenes
nicht seine einseitige Transszendenz, diese ihre nackte Weltlichkeit aufgibt, kann cs
keine wahrhaft menschliche Kultur und keine große Kunst mehr geben. Bis sich beide
wieder gefunden haben, ist nur noch auf dein Gebiete der freien subjektiven
Kunst, in Dichtung und Musik, in dieser inneren Gedanken- und Gefühlswelt
eine wahrhaft große Leistung möglich, ivie sie denn auch der Protestantismus,
vor allem der deutsche, wirklich angebahul und heraufgeführt hat.
HI. Die uruerr Kunst
Als erste große Tat seiner Kunst hat der Protestantismus die Shakespeare schc
Dichtung aufzuwcisen; ihre Größe und vor allem ihre dramatische Kraft beruht
nach Planck darin,
daß das durch die
Reformation neu
erweckte Gewissen
den Kontrast zwi¬
schen dem religiös¬
sittlichen Ideal und
der gemeinen Wirk¬
lichkeit des gesell¬
schaftlichen, staat¬
lichen, höfischen Le¬
bens als schreienden
Mission empfindet
und schonungslos
bloßlegt. Es ver¬
einigt sich dabei in
Shakespeare der
praktische, überall
zum tatkräftigen
Eingreifen in die Wirklichkeit bereite Sinn des Engländers mit der Frömmig-
keit des protestantischen Gewissens. Dieses war in Shakespeare noch stark
genug, nm dem ersteren, bald recht skrupellos auftretendeu, englischen Taten-
drang und Erwerbsgcist die Wage zu halten. Gleich nach Shakespeare treten
beide Richtungen in England auseinander. Die einseitige, expreß religiöse kirch-
liche Richtung, die in Milton noch einen hervorragenden Vertreter ihrer Dicht-
kunst findet, und die zähe nüchterne Energie des praktischen Lebens, die ihre
eigenen, recht nnkünstlerischen Wege geht. Es findet also das umgekehrte statt
wie bei Raffael und der italienischen Malerei, wo das naturalistische Form-
element die künstlerische Entwicklung weiter führte; abgesehen davon, daß es bei
Raffael die innere Verschmelzung des idealen und des realen Elementes ist.

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