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Christliches Kunstblatt für Kirche, Schule u. Haus — 51.1909

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Nr. 4 (April 1909)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44121#0122
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Thaddäus, der zu zweit am rechten Ende des Tisches sitzt. Auf dem Original
ist sie nicht erkennbar; die Kopien geben sie etwas unnatürlich auf dem Tisch
liegend, so daß man Zweifel hat, ob denn der Apostel auch völlig Herr über
diese müde Hand ist. Goethe empfand die Schwierigkeit; er brachte diese
Haltung der linken Hand in Zusammenhang mit der erhobenen rechten: der
Apostel stehe im Begriff, mit der rechten Hand in die linke zu schlagen zum
Zeichen des Erstaunens. Dem widerspricht aber die Haltung der rechten Hand und
der Gesichtsausdruck, der auch auf dem Original deutlich ist. Der Daumend der
Rechten deutet auf Ehristus, die anderen Finger weisen beteuernd auf den Apostel
selbst und wollen sagen, daß er den Herrn gewiß nicht verraten hat. Zu diesem
Sinn fügt die Linke nichts hinzu, sie macht einen etwas leeren Eindruck.
Eine ähnliche Beobachtung möchte ich an dem zweiten Apostel der linken
Tischseite, Jakobus dem Jüngeren, feststellen. Sie bezieht sich ebenfalls auf
dessen linke Hand, die sich hinter Andreas herum auf des Petrus Schulter
legt. Das Original gibt über ihren künstlerischen Zweck vollen Aufschluß:
Liouardo hat mit ihr die Bewegung auf Ehristus hin vorbereiten wollen,
die dann in der linken Hand des Petrus ihren stärksten Grad erhält. Damit
ist nun wohl der Wert dieser Hand im Einheitsgedanken des Bildes erläu-
tert, nicht aber ihre Bedeutung für den Apostel, dem sie zugehört. Psycho-
logisch läßt sich für die Bewegung dieser Hand noch ein guter Grund finden:
der Apostel will wie Petrus, nur weniger stürmisch, den Verräter wissen. Aber
formal künstlerisch führt diese Hand, von der wir weder Schnlteransatz noch Ellen-
bogengelenk zu sehen bekommen, eine etwas unkontrollierbare Sonderexistenz.
Doch wir entdecken auf den Kopien noch eine Hand, die uns weit stärkere
ästhetische Bedenken einflößt, als wir sie bisher erwähnten. Auf ihnen
erscheint hinter der linken Hand des erschrocken beide Arme ausbreitenden
Jakobus des Aelteren auf dem Tischrand eine Hand, die ohne Zweifel dem
Thomas zugehören soll, der hinter Jakobus die Rechte warnend erhebt. Bei
ein wenig näherem Zuschauen merkt man dieser Hand schon an, daß sie sich
an ihrem Platz peinlich beengt und unwohl fühlt; weiß sie doch kaum, wie
sie ihre Finger legen soll. Daher zeigen die Kopien sie auch in leise variierter
aber immer sehr ungeschickter Haltung; die vier Finger, der Zeigefinger zu
unterst, ruhen mit den dem Beschauer zugekehrten Knöcheln übereinander auf dem
Tisch; bei dem einen Bild sind sie mehr locker und gekrümmt, bei dem andern
zusammengedrängt und steiler gestellt. Der Daumen ist unter den Tischrand
geschlagen zu denken. Das ist auch die einzige Haltung, die der stehende
Apostel seiner linken Hand am Tischrand geben könnte. Aber malerisch macht
sie dennoch einen gänzlich verunglückten Eindruck. Außer auf deu beiden
großen Nachbildungen im Refektorium ist mir diese Hand noch auf der Kopie
d'Oggionnos in der Eremitage zu St. Petersburg, auf einer kleinen Kopie des
Cesare Magno und auf einem Ausschnitt ans dem Abendmahlstich von G.
Frey nach der Kopie aus der Certosa bei Pavia bekannt.* Nach dieser
* Vgl. Rosenberg „Lionardo da Vinci" S. 47; Otto Hoerth „Das Abendmahl
des Lionardo da Vinci" (Leipzig 1907) Tafel V und XXIII
 
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