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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 2.1910

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10. Heft
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verleihen. Und da muß doch klar ausgefprochen
werden, daß die hefte Malerei für Deutfche ge-
rade gut genug ift und daß die Äblehnung fran-
zöfifcher Monftrofität mit einer anfpruchslofen
Genügfamkeit nichts zu tun hat. Wir lehnen
Matiffe ab, nicht, weil er Franzofe ift, fondern
eher, troßdem er es ift, weil wir viel Befferes
bei uns zu Haufe haben, oder auch haben
können.

Wenn aber Prof. Kallmorgen mit einer höf-
lichen Verbeugung vor Liebermanns „berufenem
Munde“ feinen Saß willig akzeptiert, daß man
fich „auf die handwerkliche Grundlage derKunft
befinnen müffe“, fo ift es auch notwendig, die re-
servatio mentalis des Redners aufzudecken; das
Handwerk ift natürlich die Vorausfeßung der
Kunft, eine unter mehreren, aber die Große
Kunftausftellung fcheint die beiden Begriffe nicht
auseinanderhalten zu können und wundert fich
dann, daß fie zuweilen — nicht ernft genommen
wird. Es ift ein Holzweg, auf den fich die be-
kümmerten Führer der Berliner offiziellen Kunft
begeben, wenn fie darin ihr Heil fuchen wollen.
Woran es fehlt, ift fchlechterdings die künft-
lerifche Ätmofphäre und Tradition, und diefe läßt
fich nicht aus dem Boden ftampfen. Es ift ein
ungerechter Vorwurf, der den Berlinern da ge-
macht wird, daß fie Heimatskunft nicht fördern.
Seit Chodowieckis Zeiten, bis auf Menzel und
Leiftikow, waren die Berliner dankbar für jedes
Bißchen Schollenkunft und es würde nur für
ihren gefunden Inftinkt zeugen, wenn fie fich
ihre Landfchaft von einem Bergmann, Fren-
zei oder dem pfeudomodernen Kayfer-Eich-
berg nicht interpretieren, oder fich von dilettan-
tifchen Träumereien eines Leffer Ury nicht
willig hinreißen ließen. Eine Stadt mit der Um-
gebung Berlins kann ruhig gute Landfchafter
abwarten, ebenfo, wie es ihr nur zur Ehre ge-
reichen würde, wenn fie fich die markanten
Gefichter ihrer Militärs nicht verzuckern und ver-
niedlichen ließe von mehr oder minder hof-
fähigen Profefforen.

So hat man denn die wenigen ftarken Ein-
drücke diefer Äusftellung durchwegs den Gäften
zu verdanken, wie etwa Puvis de Chavanne
mit drei großen Kartons, oder Laermans mit
zwei Hrbeiterbildern. Denn das vorzügliche
Atelierbild des Münchener Groeber kann doch
unmöglich den Berlinern gutgefchrieben werden,
und folche Bilder wie Pfuhles „Mutterglück“
fallen aus allen andern heraus, Stahl aber für
einen Heimatkünftler auszugeben, wird keinem
einfallen. Und fo bleiben als clou der Großen
Berliner folche Mafchinen, wie Benczur Gyulas
„Empfang der Majeftäten in Budapeft“ in der
ungarifchen Äbteilung, deren befte Stücke im

AUSSTELLUNGEN

Februar in der Sezeffion zu fehen waren. Das
fagt alles.

So fehr man der Idee von vornherein zuftimmte,
fo wenig ift man von ihrer Durchführung erbaut.
Es ift ja nicht mehr als billig, wenn zurückge-
wiefene Künftler fich zufammentun, um Vorein-
genommenheiten und Quietismen einer Jury
aufzudecken; da man nun gerade in diefemjahr
in der Sezeffion fo fchroffe Äblehnung der
revolutionären Beftrebungen vernahm und auch
von dem Dargebotenen nicht begeiftert war, fo
fah man diefem Salon mit wohlwollender Neu-
gierde entgegen. Was man aber in den provi-
forifchen Räumen bei Macht (Rankeftraße 1) zu
fehen bekam, war — eine Enttäufchung mehr.
Es find Proben und Verfuche, Anläufe und auch
gewöhnliche Bluffs, doch man bekommt nir-
gends den Eindruck ftarker neuer Individuali-
täten.

Die Leute find ja teilweife bekannt, und Pech-
ft ein fowohl wie Tappe rt, Segall und Lefch-
nißer kennen wir von Caffirer her, von Philipp
Klein nicht zu reden, der — wenn er am Leben
wäre — ficher gegen diefe groteske Umgebung
Einfpruch erheben würde. HUein, was nüßen
die Namen, wenn man fo gar keinen Wunfch
fühlt, auf ihre Eigenheiten einzugehen. Diefe
halsbrecherifehen Experimente mit Ton, Farbe,
monumentaler Linienführung u. dgl. find nicht
deshalb zu verdammen, weil fie finnlos wären,
fondern weil fie in die Ecken der Privatateliers
gehören. Jeder Künftler, jeder moderne Maler hat
köftliche Äugenblicke, da ihm ungewohnteZufam-
menhänge fich offenbaren, da zuweilen ein Strich
unvermifchten Krapplacks einen Sturm von befeli-
genden Harmonien auszulöfen vermag. Ällein da-
rüber muß fich nun derMenfchmitfichrelbftausein-
anderfeßen und es mutet nicht feiten geradezu wi-
derlich an, wenn unkeufchjedekümmerlicheRegung
feilgeboten wird. (Hier fchreckte man fogar vor
der Gefchmacklofigkeit der detaillierten Preisan-
gabe im Katalog nicht zurück.) Es ift nun einmal
fo, daß zu Äusftellungen ein Minimum von Aus-
gereiftheit gehört; hier erfcheinen die wenigften
Bilder ausgegoren, wie etwa die Landfchaften
des Graphikers Lederer.

Daß unfere Modernften fich an Gauguin und
Cezanne anlehnen, wäre nicht das Schlimmfte;
nur daß fie darüber hinaus nichts zu fagen haben,
wirkt betrübend. Äber empörend ift die An-
maßung, mit der diefe typifche Impotenz fich
gebärdet. Je fchroffer man die Kunft von vor-
gertern in der „Großen Berliner“ verdammt, um
fo entfehiedener muß man fich gegen eine folche
Kunft von morgen verwahren. j g

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