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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 2.1910

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23. Heft
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Cohn, William: Die Malerei in der ostasiatischen Kunstabteilung der Berliner Museen
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https://doi.org/10.11588/diglit.24116#0883
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MALEREI IN DER OST ASIATISCHEN KUNSTABTEILUNG DER BERLINER MUSEEN

uns die mufikalifche Begleitung zu den kurzen Verfen aus dem Shinkokinwakashü
(Liederfammlung, kompiliert im Jahre 1205), die kunftvoll auf jede Seite gefchrieben
find — Mufter von Köetfus gepriefener Kalligraphie. Immer ein Thema, das in den
Worten oder auch als Affoziation zu ihnen auftaucht, wird leife variiert. Der Vers von
Frühlingsfehnfucht ift verwoben mit einer Phantafie von fpringenden Waffern und
frühlingsgrünen Bäumen (Abb. 22), der von Herbfttrauer mit reifen Reisähren im Winde
und blauer Wafferfläche (Abb. 23). In Silber und Gold flimmert es. Und wenn die
Zeit das Silber auch in ein leifes Schwarz gewandelt hat, fo ift dadurch die Wirkung
des Ganzen kaum beeinträchtigt. Zu feltfamer Harmonie vereinigen fich die Sicherheit
der wählenden Augen, wie der belebten Hand mit dem Streben nach Kühnheit und
Gebundenheit in der Flächenaufteilung. Wie verblaßt gegen folche Qualitäten die
fpätere japanifche Kunft, die Europa fo fehr gefangen nimmt.

Ift die Togotomimalerei noch mit vielen anderen Werken reich berückfichtigt, fo
nimmt die Malerei der Tokugawazeit (1600—1868) keinen allzu großen Raum in der
Berliner Sammlung ein. Ihr dürfte mit Recht nur die Rolle zugeftanden worden fein,
die fie ihrer Bedeutung nach innerhalb der künftlerifchen Entwicklung Japans verdient.
Denn fie ift, von einigen ftärkeren Meiftern abgefehen, dem Eklektizismus, der Er-
ftarrung und der Virtuofität verfallen. Diefe Charakteriftik im einzelnen zu belegen, kann
hier nicht meine Aufgabe fein. Aus der troß allem relativ anfehnlichen Zahl der Toku-
gawawerke des Berliner Mufeums feien noch einige intereffante Stücke herausgegriffen.
Das fchmale Kakemono mit dem überfchnittenen Pflaumenbaum von Körin ift außer-
ordentlichbezeichnend für die Flächenbeherrfchung und Originalitätsfucht diefes gefchickten,
kühnen, aber überfchätjten Meifters. Der Bodhi Daruma (Abb. 24) rührt von der Hand
eines fehr feltenen Künftlers her, von Fugwai, der in Odawara lebte. Der Stil des Werkes
zeigt deutlich die Nähe des Shökwadö (erfte Hälfte des 17. Jahrhunderts), eines der beften
Maler feiner Zeit, der fehnfüchtig nach der Einfachheit der alten Chinefen blickt. Er hält
fich eng an Liang K’ai, lernt feinen Stil fpielend zu beherrfchen, übertreibt ihn. Das-
felbe fehen wir bei dem Bodhi Daruma Fugwais, feinem Zeitgenoffen. Welch Unter-
fchied von der Innerlichkeit der alten Vorbilder trots kalligraphifcher Virtuofität und
ficherfter Beherrfchung der Mittel. Die Landfchaft von Nichokuan (Abb. 25), einem
Mitglied der Sogafchule, atmet Afhikagageift, ja Sunggeift. Die Einfachheit des Sujets
und die Freiheit des Pinfelftriches beftricken unleugbar. Aber auch hier kann man fich
nicht verhehlen, daß alte Vorbilder gefchickt wiederholt, nicht durchlebt find, wie einft-
mals. (Wer übrigens feine Studien gerade auf die japanifche Malerei der jüngften
Jahrhunderte befchränken will, der findet ja in London und Bofton überreichliches
Material und fomit die notwendige Ergänzung zu dem Berliner Befiß.)

Europas Intereffe für die Kunft Chinas und Japans wächft von Jahr zu Jahr. Aber
immer noch find die Augen fo feiten auf die edelften Gebiete oftafiatifehen Kunft-
fchaffens hingelenkt. Und gefchieht es fchon, fo find die Anfprüche meift viel zu
niedrig gefpannt. Es ift deshalb unumgänglich, immer und immer wieder hinzuweifen
und einzuprägen, wo und wann innerhalb der Künfte Oftafiens das Höchfte geleiftet
wurde und wie es befchaffen ift. Die Berliner Sammlung oftafiatifcher Gemälde, die
mit ernfteftem kritifchen Sinne unter Betonung der wahrhaft fchöpferifchen Jahrhunderte
zufammengebracht wurde, ift fchon jefet trofe ihres kurzen Beftehens dazu angetan,
die Rolle des Führers in Europa zu übernehmen. Wenn nur ein größerer Kreis von
Einfichtigen fie kennen, verftehen und lieben lernte! Vielleicht tragen diefe Aus-
führungen ein Geringes dazu bei.

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