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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 3.1911

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11. Heft
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.24118#0460

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RUNDSCHAU

DIE SAMMLUNG DES KÖNIGL. RATES MÄRCELL VON NEMES IN
BUDAPEST ALS LEIHGABE DER ALTEN PINAKOTHEK

Äus München kommt die überrafdiende Nachricht, daß es Geh. Rat vonTfchudi gelungen i[t,

, einige dreißig der Hauptftücke der Budapefter Privatgalerie des Herrn von Nemes für die
kommenden Monate zur Ausftellung in der alten Pinakothek zu erhalten. Zu diefer Tatfache darf
man den verdienftvollen Leiter und München im befonderen aufrichtig beglückwünfchen. Denn
unter allen bedeutenden Privatfammlungen, die in den letzten zwanzig Jahren in Europa ent-
ftanden find, behauptet die Galerie des Herrn von Nemes, die in den vergangenen Monaten durch
ihre Leihausftellung im Budapefter Mufeum der fchönen Künfte weiten Kreifen bekannt geworden
ift, einen qualitativ außergewöhnlich hohen Rang. Den Lefern des „Cicerone“ im befonderen ift die
Sammlung nicht mehr fremd. Gabriel von Terey hat im erften Heft des laufenden Jahrganges
diefer Zeitfchrift fünf Grecos der Sammlung publiziert und befchrieben und Äuguft L. Mayer
veröffentlichte an der gleichen Stelle (Heft 8) feine intereffanten Unterfuchungen über eine der
jüngften Neuerwerbungen der gleichen Galerie, die „Inmaculada Concepcion“ von El Greco. Auch
war es kein Zufall, daß zweimal hintereinander gerade in diefem Zufammenhang von dem Griechen
Domenico Theotocopuli gefprochen wurde. Denn die Sammlung Nemes hat — ungeachtet der
übrigen Schüße — ihre ftärkfte Attraktion in den neun Meifterwerken Grecos, die fie heute ihr eigen
nennt. Von diefen find fünf im Nachlaß des Künftlers verzeichnet und beglaubigt und vereint mit den
anderen geben fie eine gefchloffene Änfchauung von der Entwicklung und den drei Toledaner Stil-
epochen des viel diskutierten Meifters wie man fie fonft in Europa heute kaum noch irgendwo
ähnlich erleben kann. Von diefen Bildern ftammt eine wundervolle hl. Magdalena aus der erften
fpanifchen Stilepoche des Malers (reproduziert im Cicerone Heft 1,1901). Ein „kreuztragender Chriftus“
und die prachtvolle hl. Familie (ebendort reproduziert) aus der zweiten fpanifdien Periode, wäh-
rend die „Concepcion“, ein hl. Andreas und die ergreifende Szene „Chriftus am Ölberge“, die
auch koloriftifch den Meifter auf der Höhe feines Schaffens zeigt, die dritte Epoche illuftrieren
(ebenfalls im Cicerone abgebildet). Zu diefen Werken Grecos ift jüngft als eine der hervor-
ragenden Neuerwerbungen, die Nemes mit großem Glück gemacht hat, noch ein Porträt Grecos
hinzugekommen, ebenfalls aus der fpäten Zeit, das fabelhafte Bildnis des Großinquifitors
D. Fernando Nino de Guevara. Diefes Porträt fteht im Rahmen der gefamten Kunftgefchichte
einzig da. Nie und nirgends hat fich das Schickfal eines Landes ähnlich in einem einzigen Kunft-
werk imaginär felbft widerfpiegeln können, wie in diefem unerbittlich ftarren Antliß des Kardinal-
Großinquifitors, das — man mag das Thema Greco wie immer man auch will, diskutieren —
eines jener Meifterwerke der Kunftgefchichte bleibt, die jeder Zukunft fpotten. (Ich verweife an
diefer Stelle auf meinen erfchöpfenden Sonderbeitrag über die Sammlung von Nemes in der
Illuftrierten Zeitung vom 18. Mai, wo diefes Werk neben anderen Hauptftücken der Samm-
lung abgebildet ift.)

Im Programm des Befißers diefer Greco-Bilder bedeuten freilich diefe Stücke nur eine Phafe
allgemeiner kunftgefchichtlicher Evolution, die die Sammlung im Großen umfchreiben foll. Denn
Herrn v. Nemes kam es in der Hauptfache darauf an, an hervorragenden Meifterwerken alter
Kunft den Weg aufzuzeichnen, den der Impreffionismus durch die Jahrhunderte hindurch gewandelt
ift. Und wenn fich auch diefes oder jenes Stück nicht unmittelbar diefem großzügigen Sammler-
programm einfügt, fo ift doch im ganzen feine Kollektion ein vortrefflicher Beleg feiner Abfichten.
Das macht überhaupt erft diefe Sammlung intereffant, daß man auf Schritt und Tritt die Perfön-
lichkeit des Befißers empfindet, der mit klugem Blick und einem kunfthiftorifch gefchulten Ge-
fchmack in verhältnismäßig kurzer Zeit fo Ungeheueres hat leiften können. Herr von Nemes hat
bei den Primitiven begonnen und ift bis an die Schwelle der Gegenwart gekommen und fein
Befiß fcheidet fich deutlich in zwei Gruppen: Die ältere Kunft bis 1800 und die neuere Kunft, die
neben Conftable, Delacroix und Monticelli, vor allem Courbet, Corot, Manet und weiterhin Sisley,
Renoir, Monet, Degas u. a. belegen.

Unter den alten Meiftern ftehen zunächft die Deutfchen bzw. Altniederländer und Italiener
vollberechtigt nebeneinander. Dort find es Bilder des feltenen „Meifters mit den Affen“, der nach
Tereys mündlicher Mitteilung vielleicht der weftfälifchen Kunft einzubeziehen ift, wenn er nicht
doch, wie ich glauben möchte, nach dem Elfaß und in nahe Beziehung zu Grünewald gehört,
ferner Werke des Hugo van der Goes, Bartholomäus Bruyn und ein hervorragendes Bild des
„Meifters vom Tode der Maria“ u. a. m. Hier find es die Simone da Bologna und Agnolo Gaddi,

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