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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 3.1911

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https://doi.org/10.11588/diglit.24118#0499
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AUSSTELLUNGEN

malerifche Probleme. Und vordem hatte man
geglaubt, für eine Wand zu füllen genüge es,
ein Tafelbild in großen Maßftab zu übertragen.
Das Geheimnis des dekorativen und monumen-
talen Stiles war verloren gegangen, das Ge-
fühl für das Wefentliche der Erfcheinung, das
Verbinden der Bildteile zu einem Ganzen,
um es für das Äuge zu geftalten, wie es das
hohe Mittelalter als größten Vorzug feiner
Kunft bewahrte. Schon Hans von Marees
hatte [ich um deffen Wiedergewinnung bemüht,
Hodler hat diefes Problem gelöft. Es ift ein
weiter und fchwieriger Weg, den er dabei bis-
lang zurückgelegt, und noch nicht ift er am lebten
Ziele angelangt. Mit jedem Werke fpricht er
fein Wollen deutlicher und reifer aus, zeigt fich
jeweilig bis heute um einen großen Schritt in
der Entwicklung vorgerückt. Das ift der Vorzug
der gegenwärtigen Kölner Äusftellung, daß fie
durch die Äuswahl der Bilder dies allmähliche
Werden des Künftlers erkennen läßt. Äm An-
fänge ftehen hierbei einige ganz malerifch kon-
zipierte Arbeiten, wie der Blick in die Stamm-
kneipe des Künftlers zu Madrid (1879), wo er
kaum von dem Eigenleben der Linie etwas
weiß und der finnliche Oberflächenreiz der
Dinge ihm das Wefentliche fcheint. Aber fchon
aus der Uhrmacherwerkftätte, die im gleichen
Jahre entftand, fpricht in der energifchen Ver-
wendung der Horizontalen und Vertikalen ein
ganz neuer Geift, der dann vollftändig ausge-
bildet im Jahre 1886 bei dem ewigen Juden und
dem philofophierenden Zimmermann uns ent-
gegentritt. Schon wie er beide Male die dunk-
ler gehaltene Figur von einem hellen Grund
fich heben läßt, zeigt, daß er nun dem Kontur
feine ganze Ausdruckskraft beiaffen will. Aber
er hat vorläufig bei diefem Mühen in allzu-
großer Äbfichtlichkeit das Leben der Figur er-
ftickt. Das Unausgeglichene diefer Werke be-
ruht im lebten Grunde darin, daß der Künftler
noch zu fehr am Naturalismus haftet. Bei dem
alten Manne, der vor einem Bretterzäune zu-
fammengefunken, ift die gewollte Wirkung nur
halb erreicht, weil der materiellen Wahrheit zu-
viel Gewicht gegeben. Durch die ftoffliche Wieder-
gabe des Kleides, der Haare und der Schilderung
des Fleifches ift ein weichlicher Ton in das groß
komponierte Bild getragen, der die prachtvolle
Silhouette fchwächt. Mit wenigen Strichen in
Schwarz-Weiß gegeben, wie eindrucksvoll
müßte die Kurve des von Alter und Not ge-
krümmten Rückens reden, gehoben durch die
lotrechten Linien der Bretterwand, wie würde
die Neigung des lebensmüden Hauptes durch
die divergierende Richtung des Stabes verftärkt!
Ein Vergleich mit dem im vorigen Jahre entftan-

denen Bild des Holzfällers zeigt am markanteren,
wie weit fich Hodler entwickelt hat. Es ift die
gleiche Energie, die die rahmenden Baumftämme
bolzengerade errichtete, als Geradmeffer für die
Ächfenverfchiebung der Figur, die auch den
Kerl fo prächtig ftehen und packen hieß. Hier
ift die Fläche gewahrt, ohne doch die Geftalt
durch eine Verneinung ihrer Körperlichkeit wie
z. B. bei den Enttäufchten, zum Schemen zu
machen, dem ein Gewand ohne feften Unter-
grund gegeben ift.

Wie jedem großem Künftler, der das Leben
in der Linie ausftrömen läßt, muß auch Hodler
der Akt das willkommenfte Thema fein und
zwar mehr der weibliche als der männliche Akt.
Aber nicht den die Nerven kitzelnden Reiz des
Frauenkörpers gibt er, der ift ihm zu weichlich,
er gibt Geftalten mit faft männlichen Formen
und doch zart empfindfamen weiblichen Seelen.
Und bei diefer Verneinung des äußeren Reizes
fchafft er ein keufches Gefchlecht, faft wie jenes,
das Michelangelo uns gab, an das man die fade,
menfchliche Leidenfchaft nicht zu tragen wagt.
Der Reiz feiner Geftalten liegt in der höchften
Fülle inneren Lebens, das den ganzen Körper
durchftrömt bis zur Spitze des Fingers, und das
in den Geften einen wunderbaren Ausdruck
findet. Kraft paart fich hier mit der Empfind-
famkeit und der fpröden Grazie italienifdier
Frührenaiffance. Und wenn er einmal bei dem
Frauenbildnis diefe Kraft in denDienft der Lei-
denfchaftlichkeit ftellt, fteigert er das Leben mit
höchfter Intenfität zu einem faft unheimlich finn-
lichen Feuer. Sein Äusdrucksfaktor ift dabei faft
nur die Linie, die er reftlos nützt und nirgends
tot oder müde dahineilen läßt. Sei es ein Ein-
zelakt, wie die beiden Frauen, die mit glänzen-
der Eurythmie und feinftem Gefühl für den Wohl-
klang der Maffen mit dem Rahmen verbunden
find, fei es eine Kompofition, die mehrere Figuren
hintereinander reiht, wie „die große Empfindung“,
er weiß die Linie über ihren Einzelwert hinaus
als Teil des harmonifchen Bildganzen zu ge-
brauchen und durch den Parallelismus den Ein-
druck zu vertiefen. Gerade bei diefem Bilde
zeigt er feine Vorzüge des Monumental- und
Flächenftils am deutlichsten. Er will die Wand
durch eine falfche Tiefenführung nicht durch-
fchneiden, läßt die Figuren fich filhouettenhaft
klar entwickeln, ihr Leben in der Linie fich
äußern und zieht den Horizont hoch hinauf, fo
daß der mit Mohnblumen durchfetjte Grund fich
wie ein Teppich hinter den Figuren fpannt. Aber
diefem Grunde fehlt noch die zwingende Not-
wendigkeit der Geftalten und feine Willkür will
nicht recht befriedigen, fo trefflich auch das Rot mit
dem Blau der geftrafften Gewänder zufammen-

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