Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 3.1911

DOI Heft:
18. Heft
DOI Artikel:
Ausstellungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.24118#0756

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
AUSSTELLUNGEN

trofpektive Ausheilungen zuftande gebracht,
konnten aber, infoweit es fich um Gemälde von
Künftlern der weftlichen Provinzen Belgiens
handelt, nichts Nennenswertes zufammenbringen,
was nicht längft bekannt war und die Kenntnis
diefer Periode fördern konnte. Die Abneigung
der Mufeen und Sammler, ihren Befit$ herzu-
leihen, ift nach der Brüffeler Ausheilung, deren
Brand noch unvergeffen ift, eher noch gewachfen,
und wenn der Kunfthandel diesmal mit Ein-
fendung zweifelhafter Bilder ausgeblieben ift,
fo lag das wohl daran, daß es ihm zwar ge-
lungen war, in die vorjährige Brüffeler Aus-
heilung dank der Nachficht der vielköpfigen
Kommiffon eine große Anzahl von „ä cöte“s
einzufchmuggeln, aber nicht an den Mann zu
bringen, und daß er fich von den Provinzftädten
noch weniger verfprach. Selbft unter dem kleinen
Material aber von Gemälden, welche vorhanden
find, befinden fich willkürliche Bezeichnungen
und fchwache Leitungen, fo daß man danach
die Bedeutung der wallonifchen Kunft nicht hoch
einfchätjen könnte. Diefe Tendenz regionaler
Einteilung von Künftlern großen Rufs erfdieint
übrigens vom Übel. Der Nachweis, daß z. B.
Rogier de la Pafture’s Begabung dem Milieu
Tournai’s entfpringt, wo feine Wiege ftand,
wird nicht zu führen fein. Er ift 1400 geboren
und feine Auffaffung und Maltechnik entfpricht
ganz der der Brüder van Eyck, die in Maafeyck
(Flandern) 1366 refp. 1386 geboren find, die
alfo, wenn auch nicht die Lehrer, fo doch die
Vorläufer des Meifters aus Tournai gewefen
find. Er gehört zur Brügger Schule und ift
deshalb unter dem vlämifchen Namen Roger
van der Weyden bekannter geworden, als
unter feinem wallonifchen. Wollte man ftreng
regionale Abfcheidungen machen, fo könnte
z. B. Deutfchland den in der Gegend von
Afdiaffenburg geborenen Hugo van der Goes,
der gleichfalls der Brügger Schule angehört,
als Germanen reklamieren. Im Grunde genom-
men entfpringt aber diefe Neigung, Berühmt-
heiten zugunften des geographifchen Milieus
auszufchlachten, dem politifchen Gegenfaße, der
in letzter Zeit in Belgien ftark auftritt zwifchen
der vlämifchen und der wallonifchen Raffe.
Diefe nationaliftifche Heße geht darauf aus,
zwifchen der deutfchen und der franzöfifchen
Kultur Schranken aufzurichten, die zum Wohle
des Vaterlandes beffer unterblieben. Man follte
das Einende fuchen und nicht das Trennende.
Auf dem Kunftgebiet aber, das bisher von dem
politifchen Getriebe verfchont blieb, kann diefe
Tendenz nur Verwirrung anrichten. Wie wenig
dankbar fich die Franzofen, denen zu Liebe diefe
wallonifchen Unterfcheidungen gemacht werden,

übrigens erweifen, geht daraus hervor, daß,
wie der Louvre voriges Jahr inBrüffel verfagte,
auch für Charleroi vom Spital in Beaune das
Hauptwerk Rogiers van der Weyden nicht her-
geliehen wurde, ebenfo wie von Paris kein
Watteau, der gleichfalls als fpezififch wallo-
nifcher Künftler reklamiert und proklamiert
wurde.

Vom Gebiete der Malerei abgefehen, läßt fich
der Stadt Tournai die befonders günftige Situa-
tion für eine regionale Ausftellung nicht ab-
fprechen; ihre romanifche Kathedrale wie die ge-
fchmackvolle Tuchhalle find die hervorragendften
Objekte für eine folche, und über dem fchon bei-
nahe ominöfen Begriff der Ausftellung könnte
man das vergeffen. Die merovingifchen Könige
machten Tournai zu ihrer Hauptftadt, und man
will dafelbft das Grab des fränkifchen Königs
Chilperic gefunden haben. Die Normannen
plünderten die Stadt; nach der Schlacht von
Bouvines ließ fie Philippe le Bel mit Mauern
und Gräben umgeben, Heinrich VIII., Karl V.
und andere Monarchen hielten dort Hof, eine
Prinzeffin d’Epinoy, Marie de Lalaing, deren
Denkmal auf dem Plaß fteht, verteidigte die
Stadt gegen den Herzog von Parma, und
Louis XV. leitete die Schlacht von Fontenoy
von dem nahen Schlöffe Quatre-vents aus, deffen
Salon mit feinen entzückenden Paneelen und
Boiferien jet^t ausgeftellt ift. An der fünftürmigen
Kathedrale, welche die Reliquienfehreine des
hl. Eleutherius und des Bifchofs Eloi, Patrons
der Goldfehmiede, zwei Meifterwerke, befi^t, und
in welcher kürzlich erft Refte von mittelalter-
lichen Fresken zum Vorfchein gekommen find,
wurde ungeachtet der politifchen Kämpfe weiter-
gearbeitet, und fie ift mit ihren prachtvollen
Glasmalereien intakt geblieben. Gelegentlich
der Ausftellung hat fie ihren reichen Befitj an
Gobelins und Kirchengewändern zur Sdrau ge-
teilt.

Die Herzoge von Burgund, welche den Malern
ihrer Zeit große und fortlaufende Aufträge
gaben, befchäftigten auch das Kunfthandwerk,
und fo machte Tournai feit dem 15. Jahr-
hundert dem franzöfifchen Arras auf dem Ge-
biete der Bildweberei Konkurrenz. Von den
Webereien der Werkftätten von Tournai be-
fi^en Brüffel, Paris, Nancy, Reims und andere
Städte Prachtexemplare; letzterer Plat$ lieh der
in der Tuchhalle organifierten Ausftellung zwei
Stücke „Leben und Tod der Maria“ vom Jahre
1530, Brüffel „Die Schlacht von Roncevaux“,
fehr intereffant für das Studium der Waffen,
Tournai ein „Ecce Homo“ aus dem 15. Jahr-
hundert und „Gefchichte Abrahams“; aus Ypres
und andern Städten waren fchöne Fußteppiche

712
 
Annotationen