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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 3.1911

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18. Heft
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Ausstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.24118#0757

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AUSSTELLUNGEN

da. Eine Anzahl von Kirchengeräten, Bifchofs-
ftäben, Kelchen, Monftranzen von Goldfehmieden
Tournais zeigen die Originalität und Tüchtigkeit
diefer Meifter vom 14. bis zum 18. Jahrhundert;
befonders umfangreich aber ift die Dinanderie
vertreten, die fchon feit dem 13. Jahrhundert
ein bedeutender Zweig der Kunftinduftrie Bel-
giens war und in Dinant ihren Hauptfiß hatte.
Es find Stücke von Renier de Huy, Mahieu,
Pierre, Jehan Colard von Dinand, Jehan de
Bouvignies u. a. da und als einer der Clous das
Taufbecken der Kirche von Hai. Sodann ift einer
Abteilung Fayencen und Porzellane von Tournai
zu erwähnen, in denen die Stadt recht Refpek-
tables im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts
geleiftet hat, fo daß fie felbft mit Sevres rivali-
fieren konnte. Leider hat die franzöfifche Fabri-
kation fowohl die der belgifchen Weberei wie
der Porzellane in der neueren Zeit qualitativ
überflügelt und auf dem Weltmarkt verdrängt.
Recht intereffant und inftruktiv find dann noch
vier alte Werkftätten, welche von den Leitern
der Ausftellung aus Privatbefiß mühevoll zu-
fammengebracht worden find, um an ihnen die
Bearbeitung der Dinanderien, des Porzellans, der
Gefteine und der Gobelins zu beobachten.

ln Charleroi lagen die Verhältniffe weniger
günftig für eine Altertumsfchau als in Tournai,
weil die Stadt ausfchließlich eine der modernen
Induftrie ift und ihr altehrwürdige Bauten fehlen.
In diefer Beziehung wäre Mons mit feiner Ste.
Waudru-Kathedrale als Mittelpunkt noch vor-
zuziehen gewefen. Die Ausftellung hat wohl
einige Werke aufzuweifen, wie die des Gold-
fchmieds Hugo d’Oignies aus dem 13. Jahrhun-
dert, eines Auguftinermönchs, von deffen Hand
der Schaß von N. Dame de Walcourt ift, Re-
liquienfchreine der Kirchen von Andenne und
St. Symphorien, fie hat auch Bilder Henry Met
de Bles’, Jean de Maubeuge’s (Mabufe) Lucidels
fowie die vom Brüffeler Mufeum geliehenen
Roger van derWeyden und Patenier, von Wat-
teau faft nichts, es find auch einige Skulpturen
von Lokalgrößen da, aber das alles ift nicht ab-
gerundet und beweiskräftig.

Dagegen muß der modernen Ausftellung umfo
aufrichtigeres Lob gefpendet werden. Die Herren
Jules Deftree und Robert Sand haben da
ein vollftändiges Bild von dem Schaffen der
neuen belgifchen Kunft geboten, das mit Werken
von Navez, Wierß, Groux, Gallait, Rops und
dem vortrefflichen Landfehafter Hyppoite Bou-
lenger beginnt und über C. Meunier bis in
unfere Tage geht. Letztgenanntem ift, als dem be-
deutenden Schilderer der Arbeiter des Charleroier
Kohlenbeckens, ein eigener Saal (wie vor zwei
Jahren in Löwen) eingeräumt'worden. Die gleiche

Ehre wurde dem jeßt größten Bildhauer Belgiens,
Victor Rouffeau fowie der fehr begabten
Malerin Anna Boch zuteil, fowie den wackern
Leitungen der Kupferftecher- und Radiererfamilie
Danfe. Die Arbeiten der andern modernen
Künftler waren mit Auswahl getroffen, gut ver-
teilt und beleuchtet, fo daß dem Befchauer jedes
Gefühl der Ermüdung erfpart geblieben ift; und
das alles ift ohne Luxus und Beiwerk zuftande
gebracht worden und als einzige bei der Er-
öffnung fix und fertige Abteilung, während von
der Induftrieausftellung zu diefer Zeit nichts
parat war als Lokale für leibliche Stärkung.

F. M.

BERLIN Die bereits im leßten Heft erwähnte
Ausftellung moderner Glasmalerei bei KELLER
& REINER lenkt unwillkürlich den Blick auf
die Vergangenheit zurück, die immer dann
unfere Reflexion befchäftigt, wenn fich die Ge-
genwart anfchickt, eines jener längft verloren-
gegangenen Gebiete künftlerifcher Betätigung
mit Bewußtfein zurückzuerobern. Darum mag
es auch nicht überflüffig fein, fich kurz jene
Momente zu vergegenwärtigen, die vor Jahr-
hunderten diefenZweig kunftgewerblidienFleißes
zu feiner vollen Entfaltung hingeführt haben.
Die Glasmalerei der alten Kunft ift mit der Gotik
zu dem geworden, als was fie vor unferer Er-
innerung fteht. Nicht die bunten Fenfter roma-
nifcher Bafiliken, die das kärglich bemeffene
Licht des Tages noch um eine Nuance herab-
dämpften, fondern die lichterfüllten Räume go-
tifcher Dome brauchten die Illufion diefer farben-
frohen, der Architektur im Großen unterlege-
nen Kunft, um die myftifche Stimmung folcher
Menfchheitstempel um einen gewaltigen Grad zu
fteigern. In diefen Kirchen, die für die Ent-
faltung des Freskos kaum noch Spielraum ge-
währten, erfeßte die Glasmalerei in gewiffem
Sinne fogar die Miffion bildlicher Intuition, die
vordem auf den Wänden felbft freien Spielraum
hatte. Sainte-Chapelle in Paris, die Krönungs-
kirche der franzöfifchen Könige mit ihrem ge-
waltigen Rundfenfter ift ficher eines der voll-
kommenften Beifpiele für das reftlofe Verfchmel-
zen von Architektur und farbiger Lichtwirkung
auf Grund prächtiger Glasmofaiken.

Auch die Gegenwart, die alle künftlerifchen
Äußerungen längft erftorbenen Lebens heiß-
hungrig aufgegriffen hat, wird in vollerem Maße
diefem Zweige malerifcher Betätigung Raum
fchaffen als es bisher der Fall war. Aber da
es troß aller Gegenbeweife in unferer Zeit eine
kirchliche Kunft nicht mehr gibt, wird fich diefer
Zweig künftlerifchen Schaffens — dem über-
dies noch immer fromme Legendendarftellungen

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