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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 3.1911

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18. Heft
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Ausstellungen
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AUSSTELLUNGEN

für die üppig ins Kraut fließenden religiöfen
Tempel beiderlei kirchlichen Bekenntniffes Vor-
behalten find — beizeiten danach umtun müffen,
den Konnex mit der Gegenwart zu finden und
zwar dort, wo die Dafeinsfreude felbft nach den
feftlichen Stimmungen diefer fchönen Vermitt-
lerin der Illufion, als die wir die Glasmalerei
anfprechen, verlangt. Sie muß wohl oder übel
das apoftolifdie Gewand ausziehen und das-
felbe mit dem ficher kleidfameren Koftüm hei-
terer Alltäglichkeit vertaufchen. Sie muß die
Aufgaben, die ihr einft durch die Kirche zu-
diktiert waren, auf die Gegenwart und ihre im
Grunde materiellen Bedürfniffe übertragen, d.h.
fie muß — unferem Verlangen und Gefühl unter-
lan — der bürgerlichen Kunftübung fich an-
fchmiegen. In diefem einen Moment wurzelt
für meine Empßndung das ganze Problem, das
diefe Ausftellung zur Diskuffion ftellt. Ein
Zweites kommt noch hinzu, auch wenn diefeFrage
nebenfächlicherer Art ift. Sie lautet: Inwieweit
kann der bürgerliche Bauftil unferer Zeit diefe
Kunft verwerten? Bisher find keine allzu großen
Hoffnungen vorhanden, daß außer der öffent-
lichen bürgerlichen Architektur in Rathäufern,
Schulen ufw., auch der Einzelwohnbau derNeuzeit
ftärkeres Verlangen nach Wiederbelebung diefer
Kunftübung bekunden wird, die fich der einfach-
gefchmackvollen Raumgliederung unferer neuen
Häufer nicht ohne weiteres einfügt. Denn noch
— und das ift der fpringende Punkt — geht die
neue Glasmalerei viel zu unfrei in den Bahnen
der Tradition, weniger im Motiv als in der
malerifchen Behandlung und man vergißt wie
es fcheint, zu leicht, daß wir heute weder im
romanifchen Stil noch in dem der Gotik bauen
und daß die Jahre, wo fich der reichgewordene
Bourgeois mit Vorliebe Eßzimmer ä la „Ritter-
faal“ und Salons ä la „Palazzo Ricardi“ ufw.
einrichten ließ, gottlob weit hinter uns liegen.
Ich meine daher, die Verwendbarkeit der Glas-
mofaiken und -malereien braucht einen neuen
Ton, der fich der felbftverftändlichen Diskretion
unferer Innenkunft anfchmiegt —und eben an dem
ift noch ein ziemlicher Mangel. Die Mehrzahl
aller ausgeftellten Scheiben würde im Rahmen
unferer modernen Wohnungen mehr bunt als
malerifch, mehr aufdringlich als träumerifch
wirken und hier hat die Erneuerung zuerft ein-
zufeßen, wenn fie von dauerndem Erfolg fein
roll. Im ganzen aber ift das Refultat diefer
Veranftaltung doch recht erfreulich und es fteht
zu hoffen, daß bei entfprechender Nadifrage
und dem Sinn für Qualität in ganz kurzer Zeit
noch wefentlich vollendetere Ergebniffe zu er-
zielen fein werden, ganz befonders dann, wenn
man den Mut findet, diefem Zweig jenen Teil

monumentalen Geftaltens anzuvertrauen, der mit
dem Verfchwinden des Freskos für immer ver-
lorengegangen ift. In folchem Sinne ift z. B.
das Fenfter für den Bahnhof in Hagen von
Thorn-Prikker monumental, oder Max Pech -
fteins „Architekt“, der in der Linie an Caftagno
gemahnt, oder Auguft Ungers „Ritter“, wäh-
rend Cefar Klein meinem Empfinden nach zu
fehr körperlich und zu wenig dekorativ ift, bei
aller Sympathie, die idi fonft gerade feinen
Schöpfungen entgegenbringe. Audi Georg
Muttray mit feiner reizvollen Rokokonote
übertrug zu unvermittelt das Prinzip der Zeich-
nung auf die mufivifche Kunft, die anders be-
ftimmten Gefeßen unterfteht und andere Meifter
wiederum wie der begabte Becker-Tempel-
burg oder Robert Pollog erblicken noch viel
zu fehr alles Heil in dem quattrocentiftifchen
Freskoftil. Es muß daher auch diefe Kunft frei
und modern, d. h. innerlich dem Geifte unferer
Zeit angepaßt fein, wenn fie als lebenfpendendes
Glied unferer Kultur ihre Aufgaben erfüllen will.
Wie dies zu gefchehen hat, ift unfchwer zu er-
kennen.

Im graphifchen Kabinett der Kunfthandlung
von AMSLER & RUTHARDT hat zurzeit die
Schweizer Graphiker-Vereinigung „Die Walze“
ausgeftellt. Es find durchweg reife Arbeiten
und liebenswürdige Erfcheinungen, die uns hier
begegnen. Die Mehrzahl davon ift längft be-
kannt. Albert Welti z. B. zeigt auch in feinen
Blättern die charakteriftifche Eigennote feiner
naiven, an den Alten, zumeift an Holbein und
Schongauer geweckten Formenfprache. Dr. Otto
Gampert und Carl Felber gehören zu den
beften Vertretern ihres Faches, und merkwürdig
reif und entfchloffen muten in der männlichen
Umgebung Künftlerinnen wie Martha Cunz
und Hannah Egger, beide vorwiegend Xylo-
graphinnen, an. Kräftig in feinem Empfinden ift
Friß Voellmy, von leifer Romantik angehaucht
Emil Anner, während Artur Riedel einem
Boehle wahlverwandt erfcheint und Eduard
Vallet fich im Figürlichen als ein Meifter von
Anmut und ficherem Formgefühl erweift.

An der gleichen Stelle ift eine nicht uninter-
effante kleine Berliner Privatfammlung zum frei-
händigen Verkauf vereinigt. Ein gänzlich un-
bekannter, paftos und überrafchend impreffio-
niftifch gemalter „Hafis“ von An felm Fe u erb ach
aus der frühen Zeit (wohl um die Mitte der
fünfziger Jahre entftanden) ift das Hauptftück
diefer Kollektion. Das Bild ift von einer male-
rifchen Vollendung, einer fieghaften Freiheit in
der Behandlung der luminiftifchen Probleme, die

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