Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 6.1914

DOI Heft:
Heft. 1
DOI Artikel:
Schaefer, Karl: Die St. Jürgengruppe im Museum für Kunst- und Kulturgeschichte zu Lübeck und ihr Meister
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26375#0026
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
DIE ST. JÜRGENGRUPPE IM MUSEUM ZU LÜBECK UND IHR MEISTER

der St. Katharinenkirche erwarb. 1513 ift diejer Meijter Ältermann des Maleramtes und
im Januar 1517 errichtet er fein Teftament. Er ift Bürger zu Lübeck und vermacht drei
Häufer, die er fein eigen nennt, an feine Söhne; dem älteften, Henning, der ihm fchon
etliche Jahre gedient habe, ohne daß er Lohn dafür bekam, vermacht der Vater außerdem
all fein Handwerksgerät, Werktuch und Farbe, alles Holz und alle feine Arbeit, fertige
und unfertige. Henning von der Heide, der Meifter der St. Jürgengruppe, ift alfo 1487
fpäteftens in Lübeck Bürger und Meifter des Maleramtes und Befitjer eines anfehn-
lichen Wohnhaufes. Er hat die Stadt kaum wieder verlaffen und mag, als er fich
1519 zur Ruhe fe&te und feinem Sohne Haus und Atelier übergab, mindeftens 60 Jahre
alt gewefen fein. Wenn man noch hinzunimmt, daß aus dem Teftament des Meifters
faft als ficher angenommen werden darf, daß er geborener Lübecker und nicht ein-
gewandert war, fo gewinnen diefe vollkommen neuen Tatfachen im Verein mit den
parallelen Lebensumftänden der übrigen Lübecker Meifter diefer Zeit wie Benedikt
Dreier und Hans von Cölln für die Beurteilung der Lübecker Kunftgefchichte allgemein
gültigen typifchen Wert. — Denn um die merkwürdig vollendete Abrundung und Frei-
heit in der Kompofition der St. Jürgengruppe zu erklären, das renaiffancemäßig fort-
gefchrittene, das Pathos der einheitlichen Bewegung, das Fehlen alles gotifchen kraufen
Rankenwerks mit dem noch 1484 Meifter Notke feinen Drachentöter in St. Nikolai zu
Stockholm überhäufte um diefe einfache und felbftverftändliche Schönheit zu er-
klären, hat die kunftgefchichtliche Forfchung bisher allerlei Auswege gefucht, die nun
durch die unerfchütterlichen Daten alle beifeite geräumt werden. Man fühlte fich er-
innert an Carpaccios venezianifche Georgsbilder in S. Giorgio delgi Schiavoni; man
fefete die Entftehungszeit des Bildwerks um 1520 bis 30, damit wenigftens ein ge-
nügendes Maß von „oberdeutfchem Einfluß“ indeffen bis Lübeck vorgedrungen fein
konnte, aus dem allein man die Überlegenheit des Werkes erklären zu können glaubte.
Daß gerade in dem Zeitalter des Henning von der Heide und des Claus Berg die
Kunft der Altarfkulptur in Lübeck fo fortgefchritten modern war, wie irgendwo im
Reiche, daß die extremfte Neigung zum Barock in Benedikt Dreier und Claus Berg nur
in perfönlicher Nuancierung feit 1515 gerade fo deutlich und in fchnell fortfehreitender
Verwilderung vorhanden ift, wie in Niederbayern oder Breifach, ift nichts Neues mehr,
fondern ergibt fich fchon aus Goldfchmidts Zufammenftellung der aktenmäßig be-
kannten Daten.

Es wird die nächftliegende Aufgabe fein, feftzuftellen, was etwa an erhaltenen
Werken der Zeit nach Bernt Notkes und Rohdes Ende auf Henning von der Heide und
die übrigen führenden Meifter der Lübeckifchen Kunftfchule paffen mag. Für Claus
Berg hoffe ich dies in kurzem auf ftilvergleichendem Wege geben zu können.

Die Abbildungen, die wir zur Orientierung diefem Bericht beifügen, verdanken wir
der Freundlichkeit des Herrn Dr. Bruns und der Redaktion der Zeitfchrift des Gefchichts-
vereins, Herrn Archivrat Kretfchmar.

6
 
Annotationen