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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 6.1914

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Heft. 1
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Stoermer, Curt: Paula Modersohn
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https://doi.org/10.11588/diglit.26375#0027

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PHULH MODERSOHN Von CURT STOERMER

Mit 10 Abbildungen

bäurifcher Menfchen wird die
höchfte Äriftokratie der reinen
Fresko- und Äusdruckskunft
erwachfen. Da fehlt uns die
Erfüllung. Ihr Tod trat faft
in die Mitte ihres Schaffens,
dahin, wo wir eben die An-
fänge einer neuen Kunft er-
blickten.

Was fie trotzdem bis in
ihr 32. Jahr fchuf, ift vieler
Leben wert. Wenn man das
Pofitive ihres Schaffens fieht,
dürfte man entgegnen: War-
um follte man nicht folche
Errungenfchaften der Malerei
auch andern Menfchen zu-
muten? Hätten nicht vielleicht
andre durch viel Fleiß und
fcharfen Intellekt es eben-
dahin gebracht? Das ift es,
niemand konnte es dahin
bringen. Sie fchuf ohne In-
tellekt. Diefe Kunft ift das
Fühlen und Taften des In-
neren. Es entfteht plößlich
etwas Unbekanntes, das man
drinnen gefchaut hat mit

Abb. 1. PAULA MODERSOHN,
Stillende Mutter. 1903

Befitjer: Herr v. Garvens,
Hannover

Mittlerweile find es fechs Jahre her, daß Paula Moderfohn dahinging. Es liegt nicht
bei uns, zu fagen, daß ihr früher Tod für fie ein tragifcher Ausgang war, denn
es war kein Ausgang. Kein Werk wird mehr berufen fein, fortzuwirken, wie ihres.
Aber für uns ift ihr früher Tod eine Tragik, ein fchwerer, unverwindlicher Schlag.
Man follte, um von ihr zu fprechen, Abfeitwege gehen, man follte nie daran erinnern,

was ihre Kunft an den Schmähungen der Menge erlitten hat. Aber man kann da

kaum umhin, um eben ihre Kraft jenfeits diefes Schickfals zu erkennen, wie fie groß,
einfam, unerfchütterlich ihren Weg ging.

Auch ihr Tod war eine Willkür des Schickfals. In Paula Moderfohn war kein
Niedergang, fie war ftark und gefund. Sie trug in fich größer und gewaltiger den
Rhythmus freier Natürlichkeit wie eine Generation ihrer Kritiker und Nörgler. Deshalb
ift ihr Tod für uns eine Tragik, weil fie hätte weiter leben müffen, aber noch fchwerer

fällt diefe auf uns herab, wenn wir begonnen haben, uns in ihr Werk zu vertiefen.

Was dort auf gebaut wurde durch ein Leben unermüdlicher Arbeit, ftets wachen Stu-
diums, fcheint plößlich durchfchnitten. Wir fühlen, es muß dahin weitergehen: eine
Monumentalkunft wird wie ein Gebirge fchwer und mächtig auferftehen, aus diefer
wunderbaren Vertiefung in
die Natur und die Seele

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