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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 6.1914

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4. Heft
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Friedeberger, Hans: Gelegentlich einer Ausstellung Munscher Werke im Kunstsalon Gurlitt in Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.26375#0148

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GELEGENTLICH EINER AUSSTELLUNG
MUNCHSCHER WERKE IM KUNSTSÄLON

GURLITT IN BERLIN Von HÄNS FRIEDEBERGER

Mit 8 Abbildungen

Daß von demselben Edvard Munch, deffen Werke noch vor weniger als einem Jahr-
zehnt Kopfjchütteln, wenn nicht noch Schlimmeres erregten, heute eine Ausftellung
von 81 Werken einhellig freudig begrüßt, und was mehr [agen will, fleißig befucht wird,
bezeichnet vielleicht am deutlichflen das Tempo, in dem fleh die Begriffe heut wandeln.
Denn Munch dankt feine neue Geltung und feine plötzliche Verftändlichkeit zum guten
Teile der unermüdlichen Arbeit und dem Erfolge der fogenannten expreffioniftifchen
Kunft, als deren Ahnherrn und Klaffiker man ihn nun erkennt und feiert. Die großen
Erfcheinungen werden ja meift erft von rückwärts her begriffen, aus dem, was
nach ihnen kommt und durch die Hilfe derer, die ihre Dukaten als Kleingeld unter die
Leute bringen. Und fo haben eigentlich erft die jüngften künftlerifchen Erfcheinungen
allgemein erkennen gelehrt, daß Munch der erfte war, der das wieder in die Kunft
einführte, was der Impreffionismus aus Notwehr zurückdrängen muß: die Seele. Die
Kunft der Sachlichkeit und der Wahrheit eröffnete in Deutfchland den Kampf gegen
das, was jenfeits der optifch erfaßten Erfcheinung lag, und fle war dazu gezwungen,
weil unfere Kunft ihren Verfall nicht zum wenigften dem Mißbrauch zu verdanken
hatte, der Jahrzehnte mit den Begriffen Gemüt und Seele getrieben worden war.

Vom Impreffionismus fcheint auch Munch ausgegangen zu fein. Freilich nicht von
dem deutfehen, fondern von einem franzöfifchen, der alfo viel weniger ftreng in feiner
Sachlichkeit und viel weniger erbittert felbft gegen eine gefühlsmäßige Schönheit war.
Den Beweis liefern in diefer Ausftellung ein recht mäßiger Plajz und ein fchon recht

gutes nordifches Straßenbild,
fehr hell, etwas an frühe Mo-
nets, auch an Degas erinnernd,
aber eigentlich unter keinem
Etikett unterzubringen, am
allerwenigften unter dem
„Munch“. Nur rechts unten
ift ein Kopf auf einen roten
Schirm abgefetzt, der den fpä-
teren, den wirklichen Munch
wenigftens ahnen läßt.

Diefer Munch unterfcheidet
fich von allen Anderen zu-
nächft und wefentlich da-
durch, daß es bei ihm nie-
mals mit der Erfaffung der
äußeren Erfcheinung abgetan
ift. Man erlebt feine Land-
fchaften nicht nur mit den
Augen, man vergißt fle nicht
mehr und träumt vor ihnen.
Dabei haben fle äußerlich
Hbb. 1. EDVARD MUNCH, Selbftporträt nichts an fich, was man

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