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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 6.1914

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2. Heft
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Friedeberger, Hans; Biermann, Georg: Alfred Lichtwark †
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https://doi.org/10.11588/diglit.26375#0085

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ÄLFRED LICHTWÄRK f

as man feit einiger Zeit fürchten mußte, ift nun eingetroffen. Alfred Lichtwark

VV hat fich von den Folgen feiner fchweren Erkrankung nicht wieder erholt, und
in der Nacht vom 13. zum 14. Januar ift er dahingefchieden. Man wird Zeit brauchen,
um fich daran zu gewöhnen, daß diefer Unermüdliche jetjt ruht, daß er nicht mehr
in allen Fragen, nicht nur der Kunft fondern der Kultur überhaupt, feine Stimme er-
heben wird, warnend oder beratend, das lebendig gewordene Gewiffen der Deutfchen.

Denn diefer Mann, der aus kleinen und geftaltlofen Anfängen die erfte deutfche Galerie
moderner Kunft fchuf, einzig in ihrer Art, war viel mehr als ein vortrefflicher und erfolg-
reicher Galerieleiter. All das, was er für die Kunft, für die Geftaltung des Stadlbildes —
und nicht nur des Hamburger— für die Entwicklung der neuen deutfchen Kultur überhaupt
tat, floß aus einer Quelle: aus den Tiefen einer felbftlos-reinen, ehrfürchtigen Perfönlichkeit.

Diefer Mann durfte unermüdlich an anderen, Menfchen und Zuftänden bilden, weil
er an fich felbft nichts Kleines und Unfertiges duldete. Er durfte Wahrheit und Sach-
lichkeit von allen Dingen der Kunft und des Lebens fordern, weil er zuerft darauf
hielt, diefen Forderungen nachzukommen. Hier war wirklich der Impreffionismus zu
einer Weltanfchauung geworden, und als Lichtwark ihn und feine Meifter durchfeßte,
hat er feinem eigenen Wefen zum Siege verholfen.

Diefen Sieg hat man ihm nicht leicht gemacht, und es hat neben feiner unermüd-
lichen Energie der ganzen inneren Liebenswürdigkeit und bezwingenden Reinheit feines
Wefens bedurft, daß feine Liebe zur Tat werden durfte. Es ift um fo erfchütternder,
daß er gerade in dem Augenblick gehen mußte, wo er auf der Höhe angelangt war,
wo der neue Bau feiner Vollendung entgegengeht, in dem alle feine Lieblinge vereinigt
werden füllten, die Meifter Hamburgs vom Anfänge des 19. Jahrhunderts und die neuen
deutfchen Meifter, in dem fein Lebenswerk erft recht zur Geltung gekommen wäre. Man
mag es nicht denken, daß wir feine Geftalt vergeblich fuchen werden, wenn das neue
Haus feiner Beftimmung übergeben wird. Aber fein Geift wird darin bleiben, und weit
über die Grenzen feiner Stadt hinaus bei unferen Beften weiterleben. Wer immer leben-
digen Anteil nimmt an der Entwicklung unferes Volkes und unferer Kunft, wird feiner
mit Ehrfurcht gedenken, die aber, die ihm nähertreten durften, mit herzlicher Liebe.

H. Friedeberger.

Das Schickfal hat es anders gewollt als feine Freunde es wünfchten. Lichtwark ift
tot und ein Menfchenleben ift damit zum Abfchluß gekommen, deffen Energie und bei-
fpiellofe Tatkraft in der Gefchichte unferer Zeit unvergeffen beftehen bleiben werden.
Was immer mit kühner Vehemenz zum Lichte drängte, was an jugendfrohem Wollen
Hilfe und Förderung fuchte, fand bei dem Einen Rat und Unterftütjung. Als vor knapp
mehr als einem Jahre der Plan einer neuen Jahrhundertausftellung in Darmftadt auf-
tauchte, war Lichtwark der Erfte, der dem großherzoglichen Unternehmen mit der ihm
eigenen Großzügigkeit feine ganze Sympathie und feine Welterfahrung fchenkte. Indes
die Hoffnung, ihm in wenigen Monaten durch die Tat lohnen zu können, was er als
Perfönlichkeit für diefe eine Sache gewirkt, hat fein vorzeitiger Tod dahingenommen.
So mag der eine bitterer als der andere den Verluft diefes Mannes empfinden, ficher
ift die Trauer überall da gemeinfam, wo der Name Lichtwarks Symbol war, Ausdruck
eines Kulturbegriffes und Adel der Perfönlichkeit bedeutete. Das Gefühl, etwas Un-
erfeßliches mit ihm verloren zu haben, zwingt uns zu ftummer Refignation und Einkehr.

G. Biermann.
 
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