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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 6.1914

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13. Heft
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Friedeberger, Hans: Die Jahrhundert-Ausstellung deutscher Kunst 1650 - 1800 im Residenzschlosse zu Darmstadt, I.
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https://doi.org/10.11588/diglit.26375#0503

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DIE JAHRHUNDERT-AUSSTELLUNG
DEUTSCHER KUNST 1650 — 1800 IM
RESIDENZSCHLOSSE ZU DARMSTADT

Mit 31 Abbildungen Von HANS FRIEDEBERGEH

Es kann nicht die Aufgabe einer kurzen Befprechung fein, den Reichtum der An-
regungen auszufchöpfen, den diefe Ausftellung birgt. Was fie der deutfchen Kunft-
gefchichte zu geben hat, wird nur durch eine einläßliche, fpezialiftifche Befchäftigung
mit dem Material nußbar gemacht werden können, und erft wenn genügende einzelne
Unterfuchungen vorliegen, wird man mit Erfolg daran gehen können, die Gefchichte
diefes bisher faft garnicht oder falfch erkannten Zeitalters zu fchreiben. Was im
folgenden verfucht werden foll, ift lediglich dies: Die Linien der Entwicklung nachzu-
zeichnen, wie fie feit diefer Ausftellung erfcheinen, die Punkte zu bezeichnen, wo die
neuen Ergebniffe zu finden find, und dem Bekannten und meift Unerfreulichen das
Unbekannte, durch diefe Ausftellung zur Evidenz Gebrachte entgegenzuftellen, das
diefe ganze Epoche in einem neuen Lichte und für die Entwicklung deutfcher Kunft
viel bedeutfameren Lichte erfcheinen läßt, als man ficli das von diefem verrufenen
Zeitabfchnitt je träumen ließ.

I.

Was Albrecht Dürer in Italien fuchte, war eine neue Stärke der plaftifchen Anfchau-
ung, eine bei aller Eingänglichkeit der Darftellung größere Art des Sehens. Und wenn
er fich daneben auch dem Reiz einer freieren Sinnlichkeit, ftärkerer Pathetik und der
weiter ausholenden Gebärde gern hingab, fo blieb doch im Grunde das Bewußtfein,
daß das Kunftwerk der Natur, „in der es ftecke“, ebenbürtig, und eine gewiffermaßen
gleichfalls göttliche Schöpfung fei. Selbft bei den theoretifchen Bemühungen handelte
es fich je länger je mehr um die Sehnfucht, die viefältigen Gefeße der Natur zu er-
kennen, ohne daß doch der Wunfch Dürers nach einem gültigen und bequem anwend-
baren formalen Schematismus geftanden hätte.

Das wurde unter den Kleinmeiftern anders. Dürer fuchte Beftätigungen und Er-
weiterungen deffen, was er bereits im Keime befaß. Was die Kleinmeifter zu den
Italienern und den Niederländern trieb, war die Überzeugung von dem fchlechthin
fuperioren Werte diefer Kunft, der Wunfch, das Erlernbare davon zu befißen, und es
lag innerhalb der allgemeinen Entwicklung, daß der Kreis deffen, was für erlernbar
galt, immer weiter gezogen wurde. Denn der Humanismus hatte die Welt, der fich
während des Mittelalters keine neuen Gebiete geiftigen Lebens erfchloffen hatten, plöß-
lich mit einer Fülle neuen Wiffens überfchüttet, und der menfchlidie Intellekt, der bis
dahin in den engen Gefchirren einer in Jahrhunderten erftarrten Sgftematik ging, fah
fich plößlich zum Herrfcher eingefeßt über Gefühl, Erfahrung und alle anderen Fähig-
keiten der Seele, die man die niederen nannte. In dem Maße aber, wie die alte,
mittelalterlich typifche Kultur vor der neuen, immer intellektueller und individualiftifcher
werdenden, zurückwich, gewann die Überzeugung Geltung, daß der Intellekt für fich
vollftändig zur Nachfchaffung der Welt ausreiche. Wiffen und Erfahrung fchienen über-
einzuftimmen, die Theorie trat hochmütig den Vorrang über das Experiment an, und
es begann die Herrfchaft des Dogmas von der Lehrbarkeit und Erlernbarkeit der Kunft.

Diefem Dogma gefeilte fich ein anderes, aus denfelben Vorausfeßungen eines ratio-
naliftifch-intellektuellen Zeitalters und den mißverftandenen Äußerungen kanonifcher
Sdiriftfteller hervorgehend: das nämlich, daß die Kunft nichts fei als eine Nachahmung

Der Cicerone, VI. Jahrg., 13. Heft. 35

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