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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 6.1914

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13. Heft
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Friedeberger, Hans: Die Jahrhundert-Ausstellung deutscher Kunst 1650 - 1800 im Residenzschlosse zu Darmstadt, I.
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https://doi.org/10.11588/diglit.26375#0504

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JAHRHUNDERT-AUSSTELLUNG DEUTSCHER KUNST 1650—1800 IN DARMSTADT

der Natur. Und diefer Glaubensfag bleibt [eit der Mitte des 17. Jahrhunderts faft
150 Jahre in Geltung. Aloys Hirths Abhandlung über das Charakteriftifche, die 1797
in Schillers Horen erfchien, [teilt im eigentlichen Deutfchland den erften planmäßigen
und ernfthajten Vor[toß gegen eine Definition dar, die noch Le[fing, eine Generation
vorher, im Laokoon unangeta[tet gela[[en hatte.

So erklärt es pch, daß am Anfang diefer Epoche die Akademiegründungen [tehen.
Noch nicht anderthalb Jahrzehnte nach dem Frieden von Münfter entfteht die von Nürn-
berg, auf lange hinaus die leßte Leiftung eines abfterbenden Bürgertums, im leßten
Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts die in Dresden, Wien und Berlin, von den Höfen, die
nun die Führung übernahmen, oder doch mit ihrer Unterftütjung gegründet.

Dicfe allgemeine Situation muß man [ich gegenwärtig halten, wenn man der
deutfchen Kunft aus der Zeit vom Ende des großen Krieges bis zur großen Re-
volution gerecht werden will. Aus ihr erklärt [ich die prinzipiell wichtige Beobachtung,
daß die Anfchauung an Wert verliert gegenüber dem Wiffen, der Stil gegenüber der
Manier, die Perfönlichkeit gegenüber der Schule. Man darf jeßt nicht mehr fragen —
und die Kunftwerke würden keine Antwort erteilen — wer war [ein Lehrer, [ondern
in welcher Akademie wuchs er auf. Und die Schulleiftungen von weitentlegenen
Stätten weifen fchließlich kaum noch einen Unterfchied auf.

Noch eine andere merkwürdige Erfcheinung in der Kunft des [päten 17. und des
18. Jahrhunderts findet ihre Erklärung durch diefe neue Gefinnung: Die neue ftreng
individualiftifche Weltanfchauung rückt die Perfönlichkeit in den Vordergrund, es ent-
ftehen die erften Äußerungen einer biographifchen Kunft in Lebensbefchreibungen und
Leichenfermonen. Das Korrelat dazu ift in der bildenden Kunft eine veränderte Stellung
des Porträts. Das Bildnis, das fich in Deutfchland immer der Hiftorie gegenüber beffer
behauptet hatte als im gleichzeitigen Italien, rückt jejjt entfchieden an die erfte Stelle.

So beherrfcht denn das Bildnis diefe Ausftellung und fpiegelt am beften die Ent-
wicklung der deutfchen Kunft in jenen anderthalb Jahrhunderten wieder, mit ihrer
Wendung zu höfifchen Formen feit der Mitte des 17. Jahrhunderts, dem allmählichen
Einlenken ins Bürgerliche und der fdiließlichen Heroifierung diefes neuen Bürgertumes
mit den Mitteln und im Sinne einer halb und falfch verftandenen Antike.

Die erften bedeutenden Bildnismaler, denen man auf der Darmftädter Ausftellung
begegnet, haben die Mittel ihrer Kunft noch auf dem Wege der Werkftatttradition er-
worben. Der Niederfachfe Chriftoph Paudiß, der 1667 als Hofmaler des Bifchofs von
Freifing ftarb, kommt unmittelbar aus dem Atelier Rembrandts. Aber fchon bei Nicolaus
Prugger, aus Bagern gebürtig, den feine Fürften ausbilden ließen und dann fpäter in
ihre Dienfte nahmen, fcheint es fich mehr um Einflüffe, als um direkte Unterweifung
von Holland her zu handeln. Zudem hat zwar auf das prächtige männliche Bildnis
aus der Ansbacher Galerie (Abb. 1) ficher die Haarlemer Schule gewirkt; die wunder-
volle Malerei des Kopfes und des [chwarzen Gewandes weift entfchieden auf Hals
und Terborch. Aber die freie, monumentale, und doch völlig unpathetifche Art der
Repräfentation, der wundervolle Landfchaftsausfchnitt mit den Gewitterwolken, der den
Unterton abgibt zu der feinen leifen Melancholie des jugendlichen Kopfes, wie man
ße bei Giorgione findet, alles das ift unholländifch, ift felbftändig deutfch und erhebt
im Verein mit der fehr hohen Qualität das Bildnis zu einem wertvollen Dokument
deutfcher Art.

Von einem anderen Bildniffe, das der deutfchen Porträtkunft des 17. Jahrhunderts
ein hohes Lob eintragen würde, ift es mir nicht fo ganz ficher, ob es wirklich einen

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