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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 6.1914

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5. Heft
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Münsterberg, Oskar: Chinesische Kunst in Amerika, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.26375#0175

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CHINESISCHE KUNST IN AMERIKA

Mit 25 Abbildungen Von O. MÜNSTERBERG

Bei dem heutigen Stande der Forfchung ift jedem Liebhaber chinefifcher Kun[t eine
Reife nach Amerika zu empfehlen. Er wird dort mehr fehen als bei einem vor-
übergehenden Befuche in China oder Japan! Eine derartige Behauptung klingt merk-
würdig und wird manchem Zweifel begegnen, aber ich glaube, daß jeder Kenner der
einfchlägigen Verhältniffe beiftimmen wird. Natürlich bleibt die Baukunft ausgenommen.

Wir find gewohnt, die heimatlichen Kunftfchätje in überfichtlich geordneten Mufeen
zu ftudieren. In China dagegen exiftiert bisher keine einzige öffentliche Anstalt, die
es fich zur Aufgabe geftellt hat, Kunftgegenftände irgendwelcher Art zu fammeln. Die
kaiferlichen Paläfte bargen einft die umfangreichften und großartigften Schajjkammern
chinefifcher Kunft, fie waren jedoch nicht zugänglich und find heute durch Feuer und
Diebftahl völlig verwüstet. Reiche Schätje, die im Laufe von Jahrhunderten in den
Schaßhäufern der Kaifergräber aufgeftapelt waren, wurden in den Kriegen, teilweife
von europäifchen Truppen, geplündert oder zerftört.

Wahrfcheinlich find noch wertvolle Kunftwerke in chinefifchen Privathäufern ver-
borgen, da die beften Stücke in den Sammlungen Japans, Amerikas, Englands, Frank-
reichs und Deutfchlands tatfächlich erft in den lebten Jahrzehnten aus China ausge-
führt find. Es handelt fich dann aber um einzelne Gegenftände, die über eine Land-
fläche fo groß wie Europa, und unter einer Menfchenmenge von mehreren hundert
Millionen zerftreut find. Es ift fchon ein langjähriger Aufenthalt mit vorzüglichen Ein-
führungen an die meift exklufiven Kreife gebildeter Chinefen, eine außerordentliche
Aufwendung an Ausdauer und Zeit und vor allem eine bedeutende Fachkentnis er-
forderlich, um vielleicht in langen Jahren foviel fehen zu können, wie heute in den
Sammlungen von Freer in Detroit und in den Mufeen von Bofton, Chicago, Baltimore
und New-York zufammengebracht und allgemein zugänglich ift.

Bisher empfingen wir unfere Kenntnis chinefifcher Kunft aus zweiter Hand, aus
Japan. Dort haben feinfinnige Fürften fchon vor Jahrhunderten begonnen, Schäle des
benachbarten Feftlandes zu fammeln. Den einheimifchen Künftlern galten fie als be-
wundernswerte Vorbilder. Chinefifche Malereien wurden von den Japanern mit den
Namen der größten Künftler bezeichnet. Vortreffliche Publikationen japanifcher Ver-
leger haben uns mit diefen Bildern bekannt gemacht und in dankenswerter Weife uns
das erfte Verftändnis für chinefifche Malerei übermittelt. Leider zeigt es pch aber
immer mehr, daß die Japaner doch nur begrenzte Kenntniffe befaßen. Sie haben die
chinefifche Kunftgefchichte vorwiegend aus dem kleinen Befitjftande ihres Landes re-
konftruiert. Die japanifchen Experten, denen eine freie Wiffenfchaft in europäifchem
Sinne unbekannt war, betrieben ihre Studien wohl nur wenig im Mutterlande der
Kunft und oft werden perfönliche Intereffen ihr Gutachten beeinflußt haben. Hieraus
laffen fich die merkwürdigen Meinungsverfchiedenheiten erklären.

Auf die Wertfchätjung des chinefifchen Malers Muchi habe ich wiederholt hin-
gewiefen.1 Kümmel2 3 * * nennt ihn nach dem japanifchen Urteil den „einfamen Ge-
waltigen“, deffen Pinfel „wirklich ganz Geift“ ift, während chinefifche Schriften8 ihn
als mäßigen Dilettanten erwähnen. Hiernach ergab fich bereits die Frage, ob denn

1 Münfterberg, Chinefifche Kunftgefchichte, I. S. 231, Ab. 177—193 und Münfterberg, Das

Oftafiatifdie Mufeum in Berlin. Privatdruck, S. 14.

3 Kunft und Künftler. 1909. VIII. S. 364.

3 Giles, An introduction to the history of Chinese pictorial art. 1905. S. 130.

Der Cicerone, VI. Jahrg., 5. Heft. \\

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