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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 6.1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.26375#0329

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VERMISCHTES ° LITERATUR

fehr an unmittelbare Beobachtung, als vielmehr
an einen mehr oder weniger traditionellen, klaf-
fifdien Typus denken laffen. Es ift nun höchft-
wahrfdieinlich, daß Rembrandt auch den Stich
von Giulio Fontana nach der verloren gegangenen
„Schlacht bei Cadore“ vonTizian in feinem
Beßß hatte. Und dann konnte er in der Gra-
vüre nicht nur eine Ordnung von Dingen, ein
Verhältnis der Figuren zum Ganzen und, z. B.
in dem Pferde rechts, felbft ein Repouffoirmotiv
finden, woraus er fcheinbar mit Behagen fchöpfte,
fondern auch einen Typus von heroifchen Pferden,
ja beftimmte Stellungen diefer Pferde und Hal-
tungen ihrer Reiter, die er für feine „Eintracht
des Landes“ ziemlich ficher benußte. Der von
der Seite gefehene Hauptmann, der etwas links
von der Mitte des Bildes vorausreitet, fcheint
in der Tat von den drei über die Brücke reiten-
den Kriegsleuten aus der „Schlacht bei Cadore“
zu einem prächtigen Typ zufammengefchmolzen
zu fein. R. B.

FLORENZ Das allen Befuchern von Florenz
bekannte Schloß Vincigliata, ein Bau des
14. Jahrhunderts, den der Engländer Temple
Leader feit 1855 in mittelalterlichem Stile umbauen
ließ und mit Kunftwerken verfchiedenfter Herkunft
— einige der Fresken ftammen aus dem Klofter
S. Martino in Via della Scala — fchmückte, war
nach dem Tode Temple Leaders in den Befiß
eines Lord Weftbury gelangt, der es jeßt zum
Verkauf ausbietet. Nach dem Gefeß vom 20. Juni
1909 hat die italienifche Regierung ein Vorkaufs-
recht, von dem ße aber keinen Gebrauch machen
wird, falls der Beßßer, wie zu erwarten, eine
Madonna mit dem Kinde und eine Verkündigung
von Giovanni della Robbia ihm überläßt. Gleich-
zeitig bemüht ßch die Oberintendanz für Er-
haltung der Kunftdenkmäler um die Figur eines
anbetenden Engels, von der alten, 1587 zer-
ftörten Domfaffade, ein Werk vom Ende des
14. Jahrhunderts. W. B.

LITERATUR

URSPRUNG UND ENTWICKLUNG DER CHI-
NESISCHEN UND JAPANISCHEN KUNST, von
Erneft F. Fenollofa. Ins Deutfdie übertragen
von Fr. Mi Icke, durchgefehen und bearbeitet
von Shinkichi Hara. 2 Bände. Leipzig 1913.
Verlag von Karl W. Hierfemann.

Das pofthume Erfcheinen des Lebenswerkes
eines Entdeckers und Bahnbrechers wie Fenol-
lofa ift auch dann für ein einzigartiges und
wichtiges Ereignis zu halten, wenn dasfelbe,
wie in diefem Falle, der leßten Vollendung ent-
behrt. Und Erneft Francisco Fenollofa (Kanu

Eitan) — obwohl eingeftandenermaßen kein
zünftiger Kunftgelehrter in engerem Sinne des
Wortes — ift wahrhaftig nichts weniger als der
Begründer der modernen oftafiatifchen Kunft-
forfchung. Die Saat diefes großen Geiftes, eine
Arbeit von faft drei Jahrzehnten, trieb be-
reits in feinem Leben reife Früchte. Fenollofa
wirkte nicht nur unmittelbar, fondern auch durch
die Arbeit feiner Schüler, zu denen unter an-
deren kein geringerer als Okakura Kakuzo zu-
zuzählen ift. Die Behauptung, daß er die Ja-
paner zum eigenen künftlerifchen Genius zurück-
geführt hatte, muß auch denjenigen glaubwürdig
erfcheinen, die Nipons kulturelle Umwälzung
durch perfönliche Erfahrung kennen zu lernen
keine Gelegenheit hatten.

Das vorliegende Werk ift eine Frucht inten-
fiver perfönlicher Erlebniffe und es ift daraus
unfchwer herauszufühlen, daß die Wucht des
Geiftes, die ein fchier unüberfehbares kunfthifto-
rifches Material mit einer feltenen Prädispofition
und Aufnahmefähigkeit zu bewältigen imftande
war, auf feine fahnenflüchtigen oftafiatifchen
Zeitgenoffen mit elementarer Gewalt wirken
mußte. Es ift eine zutreffende Bemerkung von
Mary Fenollofa, der Herausgeberin der erften eng-
lifchen Ausgabe („Epochs of Chinese and Japanese
Art“, London, W. Heinemann, 1912), daß auf
den Verfaffer alle Tiefen und Wunder der Ro-
mantik des japanifchen Denkens mit überwälti-
gender Macht einzudringen fchienen. Er geriet,
als er den Boden des Infelreiches betrat, in eine
der größten Brandungen fozialer und kultureller
Kräfte, die die Weltgefdiichte je gefehen. Als
Augenzeuge diefes wunderbaren Phänomens
hatte er die nie wiederkehrende Gelegenheit,
den Glanz einer hiftorifch werdenden Kunft in
feinem Auslöfchen auf fich wirken und dadurch
fein Temperament und rekonftruierende Phan-
tafie unmittelbar anzünden zu laßen. Die zu
jener Zeit noch lebenden Traditionen der alten
Tofa- und befonders der Kanö-Schulen wurden
ihm durch vertrauten Umgang mit einigen ihrer
leßten großen Adepten bekannt. Es wurde ihm
dadurch im beften Sinne des Wortes ermöglicht,
„aus erfter Hand ftammendes Material für eine
wirkliche Gefchichte der oftafiatifchen Kunft zu-
fammenzutragen“. Diefer Umftand foll bei der
Beurteilung feines Buches keinen Augenblick
unbeachtet gelaffen werden.

Fenollofa, ein philofophifch ftreng gefchulter
Geift, der die foziologifche Seite der Kunftfragen
nie vor Äugen verliert, ift immer in erfter Linie
Künftler geblieben. Er war ftets bemüht, in die
innerfte Natur der Kunfterfcheinungen einzu-
dringen und auf Grund diefer Erkenntniffe ein
fubtiles Phantafiewerk zu konftruieren, bei dem

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