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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 6.1914

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11. Heft
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Friedeberger, Hans: Darmstadt 1914
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https://doi.org/10.11588/diglit.26375#0446

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DÄRMSTÄDT 1914

Im Mai hatte Darmftadt feine großen Tage.

Am 15. wurde feierlich durch den Großherzog
die Äusftellung der Künftlerkolonie auf
der Mathildenhöhe eröffnet, die erfte feit 1908,
die wieder, wie jene, fdiöne Stücke der ange-
wandten Kunft und einige feine Interieurs, na-
mentlich für Etagenwohnungen, zeigt. Befon-
deres und aufrichtiges Lob verdient die Ab-
teilung der Ernft Ludwig-Preffe. Es gibt nicht
viele Unternehmungen, die ihren Drucken eine
fo fchlichte und fo hohe Schönheit geben können,
die doch ganz allein auf der Schönheit des Ma-
terials, der Type und der Struktur beruht. Und
man emppndet das doppelt rein, weil hier die
Sorgfalt und die Schönheit durchweg Texten
zugute gekommen find, die ihrer wert find. Wich-
tiger aber als diefe Arbeiten ift es, daß diefe
Äusftellung einen Beweis gibt für das erhöhte
Streben der Darmftädter Künftier nach monu-
mentaler Geftaltung. Davon fprechen der im-
pofante und gut gegliederte Block dreiftöckiger
Häufer von Älbin Müller an der Oftfeite des
Mathildenhügels, wie feine ftrenge und wuch-
tige Brunnenanlage, dafür fprechen noch lauter
die Arbeiten Bernhard Hoetgers, des Bild-
hauers, vor allem das mit Älbin Müller gemein-
fam geftaltete Äusftellungsportal und der Pla-
tanenhain. Die hohen gereihten Säulen des
Portals, von ftreng ftiiifierten und doch fehr
lebendig-gefühlten Löwen gekrönt, fchließen
bronzene Schiebetüren mit großzügigen, außer-
ordentlich ftarken Reiterreliefs ein, eine monu-
mentale Leiftung, wie fie an die beften Tage
der großen Stile erinnert. Die andere große
Hoetgerfche Leiftung, der Platanenhain, ftellt den
Verfuch dar, die Hälfte eines ftreng ftiiifierten
Baumgartens durch Plaftiken, die einer einheit-
lichen Idee untergeordnet find, zu ftüßen und
zu gliedern. Die Stützpunkte der Ecken find
durch große Figurenreliefs mit ftreng gebundenen
Geftalten betont, die Rückwand akzentuiert eine
Gruppe in übergroßen Figuren, Werden und
Vergehen darftellend, und in die Längswand
find Krugträgerinnen eingeftellt, die für mich
das Reiffte diefer Anlage darftellen und in ihrer
Mifchung von monumentaler Strenge und leiden-
fchaftlichem inneren Leben eine der wuchtigften
und reinften Leitungen des neuen Monumental-
ftils find. Daß heute, wo die Plaftik weit hinter
der Malerei und Graphik zurückfteht, wo fie
Reh, wenige Ausnahmen abgerechnet, mühfam

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erft wieder der Einzelpgur bemächtigt, Dinge
gewagt, und mit Glück gewagt werden können,
wie die großen Hoetgerfchen Anlagen, ift viel-
leicht das fchönfte Ergebnis der Äusftellung
auf der Mathildenhöhe.

Am 19. Mai vollzog fich dann ganz ftill und
ohne jedes Gepränge, aber würde- und ein-
drucksvoll die Eröffnung der Jahrhundert-
ausftellung deutfeher Kunft von 1650—1800,
in Gegenwart des Veranftalters, des Großherzogs
Ernft Ludwig und des Prinzen Äuguft Wilhelm
von Preußen als Vertreter feines Vaters, und
vor einer Verfammlung von Kunfthiftorikern
aller Arten und Grade, wie fie nicht oft auf
einem kunfthiftorifchen Kongreffe angetroffen
wird. Über die Refultate der Äusftellung felbft
einläßlich zu fprechen, ift hier nicht der Ort. Das
foll in einer Reihe von Äuffäßen gefchehen,
die verfuchen werden, die Linien der deutfehen
Kunftentwicklung von 1650—1800 fo zu zeichnen,
wie fie nach diefer Äusftellung erfcheinen. Nur
foviel fei heute kurz gefagt: Die Äusftellung
will, wie das auch in der Eröffnungsrede Prof.
Biermanns ausgefprochen wurde, keine Senfatio-
nen bringen. Daß neue Genies dabei nicht ent-
deckt werden würden, wußte man im voraus.
Immerhin rechtfertigte allein fchon die um-
faffende erfte Darftellung einer fo ftarken künft-
lerifchen Perfönlichkeit, wie es Ziefenis ift, den
Aufwand, ganz abgefehen davon, daß über-
haupt auf viele der bekannten Künftier neues
Licht fällt, und daß, mit Goethe zu fprechen,
auch in diefer Äusftellung die Sterne dritter
und vierter Größe erft anfangen zu glänzen, die
den Kunfthimmel fo weit und reich machen. Die
Tragweite der Veranftaltung heute fchon genau
abzumeffen, wäre aber ein verfrühtes Unter-
nehmen. Auch hier wird noch eine mit Sicher-
heit zu erwartende lange und fpezialifierende
Befchäftigung mit dem Material nötig fein, um
die fämtlichen Anregungen zu verarbeiten, die
aus dem Dargebotenen zu ziehen pnd. Alles,
was man nach dem erften Eindruck fagen kann,
ip, daß fich hier, genau wie bei der Jahrhundert-
ausftellung in der Nationalgalerie, von der die
Darmftädter mit Recht ihren Titel übernehmen
durfte, das Gefamtbild der Zeit denn doch er-
heblich anders darftellt, als man es nach der
Überlieferung zu fehen gewohnt war. Die
Äkzentfeßung, wie fie in den Kunßgefchichten
hergebracht ift, fofern dort überhaupt für diefe
 
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