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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 6.1914

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12. Heft
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Grautoff, Otto: Die Sammlung Camondo
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https://doi.org/10.11588/diglit.26375#0479

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DIE SAMMLUNG CÄMONDO

Das Vermächtnis des Grafen Ifaac de Camondo
ift am 5. Juni im Louvre dem Publikum zu-
gänglich gemacht worden; es ift im zweiten
Stock zwifchen der Mollientreppe und der großen
Galerie, zwifchen dem Lefuelhof und dem Ka-
rouffelplaß untergebracht.

Ifaac de Camonde ftammte aus Konftantinopel,
kam in frühefter Jugend nach Paris, wurde Kauf-
mann und trat Ende der fiebziger Jahre zu-
fammen mit feinem Vetter Mofes an die Spitze
des von feinem Vater Abraham und feinem
Onkel Nifßm geleiteten Bankhaufes Camondo
& Cie. Jahrzehnte hindurch hat er in der Parifer
Finanzwelt eine bedeutende Rolle gefpielt. Durch
die Verbindung mehrerer Fähigkeiten war ihm
ein außerordentliches Leben befchieden worden.
Ifaac de Camonde war leiden fchaftlicher Mupket,
ift mehrfach als Komponift hervorgetreten, hatte
in feinem gaftfreien Haufe einen mufikalifchen
Sammelpunkt gefchaffen und war einer der
treueften Bayreuth-Pilger. Sein mußkdurftiger
Sinn fog pch auch aus den bildenden Fünften
Nahrung. Daher empfand er den Wunfch, feinem
Heim jenen Ausdruck harmonifchen Behagens
zu geben, den jede gefunde, als Ganzes wir-
kende Natur erftrebt. Er war fo weit Ältparifer
geworden, daß das 18. Jahrhundert ihm allein
als würdiger Rahman feines täglichen Lebens
erfdiien. Der Geldfürft fammelte vorzügliche
Möbel aus altfranzöpfchem Königsbepg um fich:
Sofas und Seffel, die die Marke Chambre du Roy
tragen, Wandteppiche, die im 18. Jahrhundert
die königlichen Manufakturen gewebt haben,
Tifche und Schränke, die von Kunfttifehlem des
Hofes gefchnifet worden find, die zierliche Stand-
uhr mit den drei Grazien in Marmor von Fal-
conet, die ihm ein Amerikaner einft für eine
Million abkaufen wollte. Er ftellte auf die koft-
baren Möbel Gebrauchs- und Schmuckgegen-
ftände von befonderer Güte aus den Porzellan-
manufakturen von Sevres, Vincennes, Sceaux
und Meißen; die Wände fchmückte er mit Bil-
dern und Zeichnungen der Großmeifter derfelben
Zeit; Boucher, Fragonard, Perronneau, La Tour,
Prudhon und Watteau waren mit liebenswür-
digen, teils bedeutenden Proben ihrer Kunft in
feinem Haufe vertreten, fo daß fein Heim von
der Gefinnung und der Lebensart des 18. Jahr-
hunderts völlig erfüllt fchien. Nicht der Zufall,
nichtEmporkömmlingslaunen hatten feinemKunft-
finn diefe Richtung gegeben. Die franzöfifche
Republik ift vorläufig ein Irrtum, eine Halbheit,
eine matte und unaufrichtige Organifation, in
Wahrheit eine Monarchie, in der an Stelle des
Monarchen zwölf Minifter ftehen. Unter der
Oberfläche ift alles nach monardiifdien Grund-
fäl^en geregelt. Darum erfreut fich das 18. Jahr-

hundert in Frankreich immer noch fo großer
Schäßung; darum entfpridit es allen Forderungen
gefellfchaftlicher Änfprüche, künftlerifcher Lieb-
haberei. Nachdem Camondo in Paris eine zweite
Heimat gefunden, franzöpfche Lebensgewohn-
heiten angenommen hatte, prägte fich in feiner
Sammelluft auch franzöfifche Eigentümlichkeit
aus. Aber fein Geift war nicht befchränkt. Gleich
den Liebhabern der Kunft im 18. Jahrhundert
fuchte er feinen einheitlich ausgeftatteten Wohn-
räumen durch Erwerbung trefflicher Kunftwerke
anderer Völker und Zeiten besonderen Glanz zu
geben. Nur die romanifche und gotifche Kunft
fchloß er aus feinem Intereffekreis aus. Die Plaftik
von Byzanz, Florenz, Venedig,Frankreich, Deutfch-
land und Spanien fand feine Teilnahme. Dona-
tello war mit einem Kreuzigungsrelief in Bronze
bei ihm vertreten, deffen klareLinienfprache.deffen
fchmerzlich durchfurchte Gefichter eindringlich
Sprechen. Diefes Werk wie die Burgunder Ma-
donna in Stein pnd im Schnittpunkt zweier Zeit-
alter gefchaffen und zeigen den Äusklang der
gefühlsmäßig gefchwungenen S.-Linie. Klar,
rein, typifch ruhig ift die Limoufiner Toten-
maske aus dem 13. Jahrhundert. Der Wille,
das Leben zu meiftern, Sicherheit im Handeln
und Herrfchen fprechen aus einem deutfehen
Männerkopf und der Bronze eines venetiani-
fchen Marfchalls. Camondos orientalifche Äb-
ftammung gab ihm eine befondere Liebe und
ein eindringliches Verftändnis für die Bildhauerei
und die Malerei der apatifchen Völker. Uber
500 Nummern umfaßt die orientalifche Abteilung
feiner Sammlung; ihr Reichtum kann hier nur
angedeutet werden: Vier chinefifche Malereien
der Mingperiode, eine füdchinefifche Buddha-
ftatue, ein Elefant in Bronze aus Cambodga,
fechs fiamefifche Skulpturen, 23 chinefifche Bron-
zen, acht japanifche Skulpturen, acht japanifche
Masken, gutes Porzellan, mehrere Fächer, Waffen
und Gebrauchsgegenftände und fehr viele japa-
nifche Holzfchnitte (Mafanobu 3, Harunobu 13,
Koriufai 18, Shunfho 19, Shuniyei 18, Kiyonaga
39, Sharaku 19, Utamaro 69, Hokufai 40, Hiro-
fhighe 48 ufw.). Für die zeitgenöffifche Malerei
erwachte Camondos Anteilnahme zuletzt. Erft
nachdem er in der Kunft aller Zeiten und Völker
heimifch geworden war, wandte er fich feiner
Gegenwart zu, mit der er durch feine mufika-
lifchen Intereffen, durch feine Freundfchaft mit
Leo Delibes, Widor, Chevillard und Haffelmans
aufs innigfte verknüpft war. Nach vielfachem
Umherfchweifen durch vergangene Zeiten ver-
ankerte Camondo fich in den lebten Jahrzehnten
feines Lebens ganz in der Gegenwart. Er wollte
die eigene Zeit in feiner Sammlung verewigen.
Ehrgeizig und gewiffenhaft zugleich, befcheiden

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