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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 6.1914

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Heft 20/21
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Friedeberger, Hans: Der Radierer Sion Longley Wenban
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https://doi.org/10.11588/diglit.26375#0649

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DER RÄDIERER SION LONGLEY WENBHN

Mit 5 Abbildungen Von HANS FRIEDEBERGER

Äbb. 1. S. L. WENBflN, Schleißheim im März. 1883

Im November 1878 kam ein dreißigjähriger amerikanifcher Künftler, nach kurzem Auf-
enthalt in Schottland, England und Paris, nach München, um dort auf den Rat
des Profeffors der New-Yorker Kunftakademie, wo er einen oder zwei Winter ge-
regelten Zeichenunterricht genoffen hatte, feine künftlerifche Ausbildung zu fuchen. Die
Mittel dazu hatte er fich als Retoucheur und Verfertiger großer Crayon-Porträts in
Chicago, vor allem aber in Cleveland (Ohio) erworben. In Cleveland hatte er mit
gleichgefinnten Künftlern eine kleine Vereinigung „Cleveland school of arts“ gegründet,
fich autodidaktifch mit der Radierkunft abgegeben und mit einem unerfättlichen Streben
nach der Natur aus den Familienmitgliedern feine Modellfammlung gemacht. Die Grenze
des Staates, der ihm die Kunft ganz und ungeteilt geben follte, erfcheint ihm wie die
eines gelobten Landes, und wie mit einem Seufzer der Genugtuung und Erleichterung
vermerkt er es auf einer kleinen, aus dem Zuge gezeichneten Skizze, das dies das
erfte in Deutfchland entftandene Blatt ift.

Diefes erfehnte und begeiftert begrüßte Deutfchland brachte zunächft nur Ent-
täufchungen. Die Zeichenklaffe Hackls auf der Akademie befriedigte ihn nicht, die
Stadt bedrückte ihn, und bei dem Verfuch, feine Bilder zu verkaufen, ftieß er fich an
der Unzugänglichkeit und der Ablehnung der Münchener Kunfthändler. Dreierlei blieb:
ein Freund und Landsmann, Frank Currier, der ihn beharrlich auf feinen Weg weift
und ihm den Rücken ftärkt, eine Frau, und die Landfchaft.

Schon 1880 fiedelt er fich in Schleißheim an, und verfucht, dort den Charakter der
Landfchaft in Zeichnungen und Paftellen feftzuhalten. 1883 fchreibt er an feinen Bruder,
er fei „fo ganz erfüllt von der Arbeit, Verfuche mit der Radierung zu machen und
fo tief intereffiert und fo fehr beftrebt, das Ding zu erfaffen“, daß ihm kaum Zeit zu
anderem bliebe.

In der Tat quillt jeßt Werk auf Werk hervor, als habe er nur bisher nicht den
Punkt finden können, wo er einfeßen mußte. Ziemlich die Hälfte alles Erhaltenen ift
in den Jahren 1883—1885 entftanden, und Unendliches mag der nie zufriedenen Selbft-
kritik Wenbans zum Opfer gefallen fein. Von da an ift er faft ausfchließlich als Gra-
phiker tätig, bis zu feinem frühen Tode im Jahre 1897.

Wenban fand feine Genugtuung in der Arbeit. Das Schickfal hat ihn ausbündig
fchlecht behandelt, aber in feinen Briefen und Tagebüchern, foweit fie bjs jeßt bekannt

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