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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 6.1914

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4. Heft
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Friedeberger, Hans: Gelegentlich einer Ausstellung Munscher Werke im Kunstsalon Gurlitt in Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.26375#0149

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GELEGENTLICH EINER AUSSTELLUNG MUNCHSCHER WERKE BEI GURLITT

Äbb. 2. EDVÄRD MUNCH, Bewacbfenes Haus

romantifch nennen könnte. Munch würde niemals perfonifizierte Waldgeifter malen, wie
Brandenburg, aber in [einen Wäldern würde man es raufdien hören. In allen [einen
weiten Landfchaften ift eine tiefe, fcheue, [chweigende und innerlich drängende Sehnfucht
lebendig; Mädchen gehen und ftehen am Strande, in feftgefchloffenen Gruppen, aus
denen [ich eine loslöft, unmerklich und langfam, und irgendwie noch mit der Gruppe
verwachfen, [o wie ein Zweig [ich vom väterlichen Stamme abwindet. Draußen aber
im Meere, das mit allem Zauber nordifcher heller Nächte [chimmert und lockt, fchwimmt
ein Boot, fern, hell, bewohnt von lichten, der Schwere entbundenen Geftalten, wie
ein Gefährt [eliger Geifter. Und man [pürt vor einem folchen Bilde das Drängen des
Blutes, die tiefen gepreßten Atemzüge, [pürt fie vor diefen Märchen [o gut, wie vor
den ganz einfachen [tillen Sommerlandfchaften mit geheimnisvollen Häufern und träu-
menden Gebüfchen, den unerbittlich gleißenden Schneelandfchaften und dem urweltlich
drohenden Gefchiebe getürmter Felsblöcke.

Wenn nun diefer Mann Porträts malte, [o mußten es folche [ein, die gleichfalls
über die Darftellung des finnlich Wahrnehmbaren hinausgehen. Man findet in diefer
Ausftellung eine befonders fchöne Auswahl diefer Arbeiten, die, ebenfo wie die Land-
fchaften, metaphgfifche Interpretationen der Wirklichkeit find. Gern gibt Munch Zu-
fammenftellungen zweier Gefchöpfe, und immer fteckt darin etwas von einer allgemein
gültigen Formulierung typifcher Verhältniffe. Aber auch die Einzelbildniffe find folche
Rubekfchen Porträts, pfychologifche Bildniffe, in denen der Maler außer einem überaus
ftarken Formerlebnis fein Wiffen um das Wefen des Dargeftellten mitarbeiten ließ.
Dabei find fie alle zugleich von einer erftaunlichen äußeren Porträtähnlichkeit und ohne
jede Gewaltfamkeit der Form und des Ausdrucks.

In ihnen ift, um die Vorherrfchaft der dargeftellten Perfon zu fichern, alles Bei-
werk nach Möglichkeit ausgefchaltet oder doch befchränkt, fo [ehr, daß am liebften die
Figur auf eine flache Wand abgeftellt wird. Wo der Raum übereck gefehen ift,

Der Cicerone, VI. Jahrg., 4. Heft. 9

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