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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 6.1914

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5. Heft
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Münsterberg, Oskar: Chinesische Kunst in Amerika, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.26375#0176
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CHINESISCHE KUNST IN AMERIKA

wirklich die Bilder, die in Japan Muchi zugefchrieben werden, von ihm gemalt find!
Ebenfo überrafchend ift das Ergebnis neuerer Forfchung, das mir fowohl von Läufer
als auch von Hirth beftätigt wird. Chinefifche und japanifche Quellen ftimmen darin
überein, daß Li Longmien einer der berühmteren Künftler der Sungzeit war. Ein
hiftorifch verbürgtes Original von feiner Hand exiftiert nirgends, aber eine Reihe von
Figurenbildern ift ihm in Japan zugefchrieben. Diefe Angaben wurden bisher kritiklos
weiterverbreitet. Das Studium alter chinefifcher Schriften hat ergeben, daß Li Longmien
als Kopift älterer farbiger Bilder berühmt war, daß er aber feine eigenen Bilder alle
ausfchließlich in fchwarzer Tufche ausführte. Bei Li war das Leben der Linie alles,
deshalb brauchte er keine Farbe. Die Li Longmien zugefchriebenen Bilder in Japan
find jedoch fämtlich bunt und laffen jene fichere Linienführung vermiffen, die wir
heute als charakteriftifch für Lis Arbeiten annehmen müffen. Es fcheint, daß auch die
Japaner felbft zu diefer Erkenntnis gelangt find und daß fie jeßt beginnen, die farbigen
Bilder, die Jahrhunderte hindurch von den erften Autoritäten der japanifchen Forfchung
als echte Sungbilder des Meifters erklärt worden waren1, als fchwache Kopien der
Yuanzeit anzufehen. Es war den Kopiften nicht möglich, die fichere Hand in Lis
Pinfelführung nachzuahmen, und fo mußten fie, um ihren Werken etwas Anfehen zu
geben, durch Farben nachhelfen. Es mag fein, daß die Kompofition oft Anklänge an
Lis Originale aufweift, aber die farbige Ausführung hat nichts mit Lis Kunft gemeinfam.

Diefe neueften Forfchungen beweifen immer von neuem, daß wir den japanifchen
Urteilen keinen unbedingten Glauben fchenken dürfen. Wir müffen uns frei machen
von der japanifchen Tradition und verfuchen, ohne irgendeinen Autoritätsglauben, mit
eigenen Augen das Gebäude der Kunftgefchichte nach dem vorhandenen Material unter
kritifcher Benutzung der zeitgenöffifchen Schriften zu errichten.

Das Menfchengehirn arbeitet überall nach gleichen Gefefeen, und fo können wir
auch in China gewiffe Entwicklungsreihen feftftellen, die der Weltanfchauung einer
jeweiligen Periode entfprechen. Wir müffen Philofophie und Religion, Gefchichte und
Technik zu Hilfe nehmen, um das Milieu zu erkennen, dem die einzelnen Bilder zeit-
lich angehören.

Nach diefen Ausführungen wird es leicht verftändlich, daß wir uns heute über
Namen und Daten noch kein abfchließendes Urteil erlauben dürfen. So lange wir
nicht hiftorifch nachgewiefene Originale eines Künftlers in Händen haben, können
wir nicht mit Beftimmtheit fagen, welche Einzelheiten für Werke des betreffenden
Meifters charakteriftifch find. Aus dem vorhandenen Material können wir aber fchon
heute den Unterfchied in der Qualität der Arbeiten und den Unterfchied im Stil her-
ausfinden. Wir können an der Sicherheit des Striches das Original von der Kopie
unterfcheiden und die Arbeit eines Meifters von der eines Handwerkers. Durch den Ver-
gleich mit datierten Arbeiten der Steinfkulpturen, der Bronzen und Töpfereien, fowie
durch das Studium des Zeitmilieus und der geiftigen Strömungen in der Literatur und
Religion können wir beftimmte Ausführungsarten gewiffen Zeitepochen zufchreiben.

Mehr als diefe nur allgemeinen Angaben wiffen wir heute nicht, und ich muß
daher unbedingt davor warnen, unter Bilder die Namen großer Künftler zu fefeen, ftatt
einfach ein Bild als gute Originalarbeit einer gewiffen Zeit, vielleicht im Stile eines
Meifters zu charakterißeren. Ob es jemals gelingen wird, überhaupt nähere Angaben
zu machen, bleibt dahingeftellt.

1 Z. B. Tajima, Selected relics of Japanese art. Bd. V. — Kokka. Heft 30, 41 u. a. O.

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