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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 6.1914

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5. Heft
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Münsterberg, Oskar: Chinesische Kunst in Amerika, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.26375#0177

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CHINESISCHE KUNST IN AMERIKA

Und fchließlich entfteht die Frage: wer hat denn ein Intereffe daran? Die künft-
lerifche Freude im Befchauen wird doch nicht dadurch gehoben, wenn wir den Namen
des Künftlers wiffen. In der Architektur hat man pch faft niemals um die Namen der
Baumeifter gekümmert, und die antiken Skulpturen find uns zum größten Teil als ano-
nyme Kunftwerke überliefert. Troßdem ift aus ihnen eine Entwicklung der Kunft-
gefchichte aufgeftellt, die das einzelne namenlofe Kunftwerk in die Jahrhunderte ein-
reiht. In gleicher Weife follten wir anfangen, die chinefifche Kunft zu gruppieren und zu
ordnen und nicht Zeit und Mühe durch fruchtlofe Unterfuchungen über Namen, Signa-
turen oder gar Schreibweifen und ähnliche Gleichgültigkeiten vergeuden. Unter diefem
Gefichtspunkt laffe ich die meift unbewiefenen Datierungen und Zufchreibungen in den
Sammlungen unberückfichtigt. *

*

Die amerikanifchen Sammlungen find im wefentlichen in New-York, Bofton, Chicago,
Baltimore und Detroit konzentriert. An jeder Stelle find urfprünglidi durch Zufall,
fpäter mit Abficht gewiffe Spezialgebiete der chinefifchen Kunft befonders gepßegt.
Die Art der Entftehung der Sammlungen ift intereffant und zugleich maßgebend für
die Entwicklung von amerikanifchen Sammlungen im allgemeinen.

Als ich vor 25 Jahren zum erften Male nach Amerika kam, las man in den Zei-
tungen von den Dollarkönigen, die fabelhafte Summen für alle möglichen Dinge her-
gaben. Damals waren die großen Ziffern etwas Neues in der Welt. Die Erwerber
der Vermögen waren „Self-made-men“ im beften Sinne des Wortes. Sie waren er-
füllt von einem ftarken demokratifchen Fühlen, und gründeten, fei es aus Dankbarkeit,
fei es aus Ruhmfucht, Unternehmungen, die ihren Namen trugen, ohne daß fie felbft
eigentlich ein inneres Verhältnis zu den Dingen, die fie fchufen, hatten. Es ift charak-
teriftifch für die geiftigen Strömungen der damaligen Zeit, daß ein Mann wie Rocke-
feller Univerfitäten und andere Inftitute ins Leben rief, aber für die Kunft, die arifto-
kratifche Form der Kultur, keinen Cent hergab. Überhaupt exiftierten damals noch
keine Mufeen, und das Stuart-Vermächtnis in der großen Bibliothek zu New-York
zeigt, auf wie falfchem Wege die früheren Kunftfammler fich bewegten. Die geiftige
Entwicklung des Volkes hatte mit dem Erwerb der großen Vermögen zunächft nicht
Schritt gehalten.

Die Naturwiffenfchaft und die Technik waren im Mittelpunkt des Intereffes, und
fie erlebten zu jener Zeit bewundernswerte und geldbringende Erfolge. Aus diefer
Auffaffung heraus hat Marfhall Field, der Begründer eines Warenhaufes in Chicago,
eine Summe von 40 Millionen Mark zur Errichtung des „Field Mufeum for Natural
Historg“ hinterlaffen. Lange nach feinem Tode wird jetjt für 20 Millionen ein Neu-
bau an Stelle des proviforifchen Gebäudes der Chicagoer Weltausftellung errichtet.

Ganz anders find die Sammlungen der leßten Jahre in New-York, Baltimore und
Detroit entftanden. Hier wurde nicht aus einem demokratifchen Gefühl heraus zur
allgemeinen Erziehung des Volkes eine Summe geftiftet, deren Verwendung fpäteren
Generationen überlaffen blieb, fondern feinfinnige Geldariftokraten, die gleichzeitig Geift
und Sinn für die höheren Kulturaufgaben befaßen, fchufen aus Freude an dem Schönen
zunächft Privatfammlungen, die fie in generöfer Weife dem Volke als Eigentum über-
ließen oder überlaffen werden. So find Bifhops Jade-Kollektion, Walters Töpferei-
fowie Pierpont Morgans riepge Porzellan-Sammlung, und vor allem Freers einzige
Sammlung chinefifcher Bilder, Töpfereien, Bronzen und Steinarbeiten entftanden. Ihnen
reiht fich das Vermächtnis des im Oktober 1913 verftorbenen Altmann in New-York

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