Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 6.1914

DOI Heft:
5. Heft
DOI Artikel:
Münsterberg, Oskar: Chinesische Kunst in Amerika, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26375#0178

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
CHINESISCHE KUNST IN AMERIKA

an. Während die meiften auf den Ankauf im Lande angewiefen waren und mit
großem Gefchick ohne Anfehung der Koften alles Gute, was auf den amerikanifchen
und europäifchen Markt kam, aufkauften, hat Freer in drei langen Reifen die Urfprungs-
ftätte der afiatifchen Kunft felbft aufgefucht.

Freer hat, wie wir alle es taten, die wir uns feit Jahrzehnten mit den afiatifchen
Dingen befchäftigen, feine erften Studien in Japan gemacht und zwar zunächft an
Dingen, die am leichteften zugänglich waren und zuerft die Aufmerkfamkeit erweckten.
Er blieb aber nicht dabei ftehen, die populären Holzfchnitte und die dekorativen Bilder
japanifcher Meifter zu fammeln, fondern fein ernftes Streben trieb ihn, die Quellen
diefer Kunft immer weiter zu verfolgen, bis er im Innern von China gute Originale
chinefifcher alter Kunft erwerben konnte. Ausgerüftet mit unbegrenzten Mitteln und
unter bedeutenden Opfern an Zeit und perfönlichem Wohlbehagen, begann Freer
feinem Vaterlande alle die Schäle zu fammeln, an denen feit Jahrhunderten die vielen
Kaufleute, Miffionare, Beamte und fchließlich die vereinigten europäifchen Militärmaffen
achtlos vorüber gegangen waren.

Wegener1 hat darauf hingewiefen, daß einft der Parvenü Napoleon mit einem
Stab von Gelehrten nach Ägypten zog und die Wiffenfchaft der Ägyptologie begründete.
Als aber die vereinigten weftlichen Kulturnationen nach China zogen, wurde nicht
ein einziger Gelehrter zur Begleitung aufgefordert. Statt bei diefer einzigartigen Ge-
legenheit die Refte vergangener Kulturen mit verhältnismäßig geringen Opfern zu er-
werben und zu fammeln, wurde gar vieles finn- und zwecklos vergeudet und ver-
nichtet. Viele Berichte find unterdrückt, weil nachträglich in weiten Kreifen ein
Schamgefühl über die damaligen Fehler entftanden war. Einzige Holzblöcke, von
denen Bücher gedruckt wurden, die heute mit Taufenden bezahlt werden, wurden als
Feuerungsmaterial verwendet. Die kaiferliche Bibliothek mit ihren koftbaren, unerfeß-
lichen Schüßen wurde Schnee und Regen ausgefeßt, um Plaß für Einquartierung zu
fchaffen. Die Maufoleen, die Kunftgewerbemufeen chinefifcher Kaifer, in denen jähr-
lich die beften Stücke der Manufakturen zu Ehren der Ahnen niedergelegt wurden,
find mutwillig erbrochen und verwüftet worden. Seidene Kleider aus gefüllten Truhen
wurden zum Pußen der Pferde verwendet. Genaue Berichte werden wohl niemals bekannt
werden. So kam es, daß wohl zufällig einzelne gute Stücke des Kunftgewerbes durch die
Kriegswirren zu uns kamen, aber nicht eine einzige Bildrolle von Wert. Kaum ein
archäologifch intereffantes Stück der früheren Kulturzeit verließ damals fein Heimatland.

Um fo höher ift es Freer anzurechnen, daß er, bisher als der einzige Sammler, fich
der Mühe unterzog, die wirklichen Schäße alter Kultur an Ort und Stelle aufzufuchen
und zu erwerben. Durch Befchluß des Board of Regents von dem Smithfonian Inftitute
inWafhington vom 24. Januar 1906 wurde das generöfe Anerbieten von Charles L. Freer
angenommen, nach feinem Tode die Sammlung und eine Summe von 500000 Dollar
zur Erbauung eines Gebäudes zu übernehmen, ln diefem Mufeum foll die Sammlung
von Freer, die heute bereits mehrere taufend Nummern zählt, aufgeftellt werden. Da
aber Freer ftändig weiter fammelt und hoffentlich noch recht lange Jahre erfolgreich
tätig fein wird, fo ift zu hoffen, daß einftmals eine noch viel größere Kollektion dem
amerikanifchen Volke im National Mufeum zu Wafhington übergeben werden wird.

In der Sammlung Freer find fieben amerikanifche Künftler mit über taufend Bildern
vertreten. Mehrere hundert Werke find von Whiftlers Hand, eine große Reihe von

1 Georg Wegener, Los von China.

152
 
Annotationen