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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 6.1914

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13. Heft
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Friedeberger, Hans: Die Jahrhundert-Ausstellung deutscher Kunst 1650 - 1800 im Residenzschlosse zu Darmstadt, I.
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https://doi.org/10.11588/diglit.26375#0518
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JAHRHUNDERT-AUSSTELLUNG DEUTSCHER KUNST 1650—1800 IN DARMSTADT

fahren der Münchner Virtuofen des 19. Jahrhunderts. Hier wird der Anfchluß nach
rückwärts, an das Gefchlecht der Paudiß und Kupetjky deutlich.

Den Höhepunkt der bürgerlichen Bildniskunft bezeichnet die Leiftung des Winter-
thurers Anton Graff. Er ragt neben Ziefenis turmhoch aus diefer Ausheilung, die auch,
trofe aller Graffausftellungen der lebten Jahre, noch einige unbekannte Stücke beibringt.
Eines feiner Bildniffe bezeichnet einen Höhepunkt der deutfchen Bildnismalerei fchlecht-
hin: Das große Bildnis des Fürften Reuß, mit feiner wundervollen Harmonie von weiß,
grau, blau, rot und gold. Alle Grafffchen Vorzüge: einläßliche Charakteriftik, Sicher-
heit des Ausdrucks, Solidität der Malerei und eine feltene Größe der Auffaffung ver-
einigen fich zu einem Meifterwerk, dem kein Land in diefem Jahrhundert Größeres
gegenüberzuftellen hat (Abb. 9).

Die Wiener Schulen, beide Lampis, Graffi und Füger, und der Schwabe Oelenhainz
treten in diefem Bilde etwas zurück. Bei aller Tüchtigkeit und aller Grazie pnd fie
doch eigentlich neben der Entwicklung hergegangen. Bis zu welcher Höhe fich freilich
diefe Tüchtigkeit gelegentlich erheben konnte, zeigt das Bildnis des Grafen Kinsky,
von dem Wiener Kammermaler Jofeph Kreutjinger, das zwar ganz von Reynolds ab-
hängig, ihm aber auch durchaus ebenbürtig ift (Abb. 10).

Den Ausklang der Porträtkunft bilden die Werke, die bereits dem Klaffizismus
naheftehen: Arbeiten Wilhelm Tifchbeins etwa und das Bildnis der Familie Le Grand
von dem Luzerner Jofeph Reinhard. Das bedeutendfte Stück diefer Gattung aber hat
ein ausgefprochener Virtuofe gefchaffen, der Rokokomaler Januarius Zick. Sein großes
Bild der Familie Remy (Abb. 11) weift alle Kennzeichen des Klaffizismus auf, wie er
mit David zur Herrfchaft kommt: die flächige Schichtung der Ebenen, die Häufung
der Vertikallinien (und das Prinzip des Parallelismus überhaupt) und die helle, ein
wenig abftrakte Farbe. Es ift das erfte Beifpiel einer neuen Heroifierung, die Morgen-
röte einer neuen Belebung der Antike.

Den engen Zufammenhang und die fortwährende gegenfeitige Beeinfluffung der
künftlerifchen und literarifchen Kreife betont eindringlich die an Erlebniffen und Auf-
fchlüffen überreiche Porträtgalerie des künftlerifchen und geiftigen Deutfch-
lands 1650—1800. Sie führt diefe Entwicklung zudem noch einmal gefchloffen vor,
künftlerifch, indem man diefelben formalen Prinzipien in ihrer Entfaltung noch einmal
vorüberziehen fieht, inhaltlich-menfchlich in dem wechfelnden Ausdruck und der pch
wandelnden Stimmung der Köpfe. Diefe felbftändige Abteilung wartet zudem mit
Koftbarkeiten auf, wie der Doellfchen feinen Winckelmannbüfte, ferner mit einem
bisher nicht bekannten Grapfchen Leffingporträt, das vor dem fpäteren Leipziger Bilde
den Vorzug der größeren Unmittelbarkeit und alfo wohl auch größeren Ähnlichkeit
hat. Daran fchließt fich ein neues Leibnizbild, Denner naheftehend, und, das malerifch
befte Stück, Graps Bildnis des Grafen Friedrich Leopold Stolberg. Für den Weimarer
Kreis kommen dann nodi die bisher faft unbekannten Büften Klauers dazu.

(Fortfetjung im nächften Hep.)

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