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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 6.1914

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15. Heft
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Ausstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26375#0571
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AUSSTELLUNGEN

merkt zu werden, daß fdion Bürger-Thore nach-
drücklich auf Michel als Vorläufer der Barbizon-
Schule hingewiefen hat.

ln der MODERNEN GALERIE THHNNHAUSER
ift zurzeit die Kollektivausftellung von Älef-
fandro Magnasco (1667—1749) zu fehen. Da
die gleiche Kollektion fdion in anderen Städten
gezeigt wurde und auch in diefer Zeitfchrift be-
reits darauf hingewiefen wurde, können wir uns
an diefer Stelle kürzer faßen. Die 66 ausge-
ftellten Gemälde find in der Qualität fehr ver-
fdiieden. Es find Interieurs, bizarre Szenen und
genrehafte Gruppen vorhanden, die in keiner
Weife den Ruhm Magnascos als Vorläufer der
Moderne rechtfertigen; fie wirken in der Farbe
dunkel, manieriert. Etwas Neues für diefe Zeit
find Gemälde mit ftürmifchen Meeresfzenen, Bilder
aus dem Mönchsleben; Genrefzenen; darunter
Bilder von grotesker Erfindung, von barockem
Pathos. Eine ftarke Eigenart ift bei diefen nicht
zu verkennen. Man könnte diefe Eigenart
kurz dahin faßen: negativ ift es das Äbgehen
von der akademifchen Kompofition im alt-
üblichen Sinne, die Einteilung des Bildes auf
die Wirkung zügig verteilter Farbflecken, die
eigenartige Behandlung des Figürlichen im Sinne
der farbigen Kompofition, die vor Unrichtig-
keiten im fchulmäßigen Sinne zur Steigerung
des Ausdruckes nicht zurückfcheut. Diefe Eigen-
art verbindet Magnasco mit anderen Vorläufern
der Moderne, fie macht fein Schaßen intereßant,
gibt ihm aber nicht die überragende Bedeutung,
die man ihm neuerdings zufchreiben will. Daß
diefe Werke auch in München gezeigt wurden,
dafür ift der Modernen Galerie zu danken.

A. F.

PARIS Kurz vor Ende der Saifon wurden
wir noch durch drei bedeutende Aufteilungen
erfreut. BERNHEIM vereinigte eine größere
Anzahl von Jongkinds Aquarellen. Obwohl
Burty und Goncourt fchon nachdrücklich für
Jongkind eingetreten find, die Impreffioniften
mehrfach für ihn gezeugt haben und vielfeitig
Ausfteliungen feiner Werke veranftaltet worden
find, hat er bisher in Paris noch kein rechtes
Heimatrecht gefunden. Über eine freundliche,
achtungsvolle Verneigung vor ihm geht es nicht
hinaus. Die Preife feiner Bilder pnd niedrig.
Und jeßt, da die Kuntanfchauungen pch wieder
mehr und mehr vom Realismus abkehren und
zur Typifierung drängen, die Formen dem per-
fönlichen Emppnden wieder als Ausdruck dienen,
ift die Hoßnung gering, daß feine Kunft höhere
Schäßung erringt. Die Äusftellung war gut aus-
gewählt. Diefer Apoftel des Impreffionismus
vereinigte in fich das Kunftwollen Äart van der
Neers und Roußeaus, ging über beide in der

Dißerenzierung des Atmofphärifchen hinaus und
hat in der Vereinzelung optifcher Eindrücke Er-
ftaunliches geleiftet.

Die Galerie MANZI JOYANT veranftaltete eine
Äusftellung von Touloufe-Lautrec, die eine Über-
ficht über das Material bot, das Louis Delteil für
das Lautrec-Werk zufammengetragen hat, das
im Spätherbft diefes Jahres erfcheinen foll. Außer
einigen Probedrucken aus diefem koftbaren und
erfchöpfenden Werk waren 201 Gemälde, Pa-
ftelle, Zeichnungen, Lithographien und Plakate
ausgeftellt, die einen Überblick von feltener Voll-
ftändigkeit über das Lebenswerk des verftorbe-
nen Meifters vermittelten. Man gewann den Ein-
druck einer gewißen Vielfeitigkeit Lautrecs, die
aber nur im Themalifchen lag; denn in feinen
Darftellungen von Rennfzenen, Klavierftunden,
Konferenzen und Operationen vermißt man ge-
rade das, was Lautrec park machte: den von
Sexualität befeßenen Geift. Seine Darftellungen
aus Nacht-Cafes, Schlafzimmern, von Kokotten
und Lebemännern wirken gerade durch die heiße
und gefpenftifche Sinnlichkeit, die leidet, wo fie
genießen möchte, die die Schminke unter dem
Kuß fühlt und erfchrickt. Nicht zufällig müßen
die eindrucksvollften Blätter diefes ekftatifch
Leidenden vor der Ößentlichkeit verborgen wer-
den; aus Verzweiflung und Bitterkeit trieb es
ihn immer von neuem wilde Szenen des Liebes-
lebens aufs Papier zu bringen. Er war ein un-
vergleichlicher Techniker, der einen neutralen,
warmen Kartonuntergrund mit erftaunlichem Ge-
fchick als Malgrund auszunußen wußte und mit
wenigen bunten Strichen eine plaftifche und in
ihrem Ausdruck verblüßende Form hinzufeßen
verftand: ein realiftifcher Ekftatiker, einer, der
die reale Form mit Äbficht bis zur Karikatur
trieb. Lautrec führte das Manetfche Kunftwollen
bis zum äußerften. Seine Raumbilder find fchwach;
meifterhaft aber war er in der ßächenhaften
Raumandeutung. Seine Plakate vor allem pnd
unübertreßlich.

Die leßte Äusftellung vor den Ferien war ein
befonderes Ereignis, da fie einem Deutfchen galt.
Äbgefehenvon den wenigen begüterten deutfchen
Bildhauern und Malern, die fich für fchweres
Geld hin und wieder einen Parifer Kunftfalon
mieten, um ihre fragwürdigen Erzeugniße zu
zeigen, ift es das erfte Mal, daß ein Parifer
Kunfthändler fich entfehloß, einen deutfchen
Künftler zu einer Sonderausftellung einzuladen.
Wie ich höre, hat die Galerie LEVESQUE & CIE.
die Äbficht, diefem erften Verfuch im Herbft
weitere folgen zu laßen. Als erfter hat der in
Paris lebende Bildhauer Wilhelm Lehmbruck
hier ausgeftellt, der 18 Skulpturen, 7 Bilder und
etwa 40 Radierungen vereinigt hatte. Lehm-

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