DIE HANDZEICHNUNGEN-SAMMLUNG DB. HOFSTEDE DE GROOT IM HAAG. II.
Gegen 1660 erreicht Rembrandt in der Ausdrucksfähigkeit und der damit Hand in
Hand gehenden Vereinfachung feines Striches einen Höhepunkt. Die Heilung des Aus-
fähigen (HdG. 1270) ift ein Blatt, das die genannten Eigenfchaften in hohem Maße
befißt; befonders feffeln hier die breiten Geftalten der beiden zufchauenden Jünger, in
deren Haltung und Ausdruck Verwunderung und leichter Zweifel mit den denkbar ein-
fachsten Mitteln anfchaulich gemacht find. Von womöglich noch größerer Wirkung
und nocli ergreifender, troß der verhäitnismäßigen Bedeutungslofigkeit des Vorganges,
ift durch die Schlichtheit der Darftellung die Szene zwifchen Boas und Ruth (HdG. 1254,
Abb. 10). Boas fchüttet aus einem Sieb die Gerfte in Ruths großen Schleier aus.
Ohne jede Beigabe, ohne auch nur eine Andeutung eines Hintergrundes ftehen die
beiden Geftalten ruhig und feft auf ihren Füßen
und widmen ihre ganze Andacht der einfachen
Handlung. Von gleicher, mit denfelben Mitteln
erreichter konzentrierter Stimmung ift die Darftel-
lung des Freundfchaftsbundes zwifchen David und
Jonathan (HdG. 1256, Abb. 11) erfüllt. Im Leide-
ner Verzeichnis hat Hofftede de Groot diefes reife
Blatt auf „etwa 1640" datiert; früher hatte er es
als „Aus der Spätzeit" katalogifiert gehabt. Diefe
leßte Beftimmung fcheint mir angefichts der großen
ftiliftifchen Verwandtfchaft mit der Ruth und Boas-
Darftellung dem Charakter der Zeichnung mehr zu
entfprechen. Die Übereinftimmung der Profillinien
bei Jonathan und Ruth ift — um nur auf eine
Einzelheit hinzuweifen - fo groß, daß man faft
annehmen möchte, fie feien an ein und demfelben
Tage aus der Feder gefloffen. Urkundlich ift über-
liefert^), daß Rembrandt im März 1659 an einem
Gemälde mit der „Hiftorie van Jonathan en Davidt"
arbeitete. In einer Zeichnung (in Berlin, HdG. 33),
die ficher aus der Spätzeit ftammt, ift die Gruppe
der beiden Freunde ganz entfprechend, nur im
Gegenfinn und in einer landfchaftlichen Umgebung,
dargeftellt. Da der feltene Vorwurf in Rembrandts
Werk fonft nicht nachzuweifen ift, drängt [ich einem
die Vermutung auf, daß die beiden unter fich eng
zufammenhängenden Zeichnungen zu dem verfchol-
lenen Gemälde von 1659 in Beziehung geftanden
haben.
Wegen der Weife der Lichtbehandlung hätte
ich die Befreiung Petri aus dem Kerker (HdG. 1277,
Abb. 12), die in Leiden auf „etwa 1663" angefeßt
wurde, gerne erheblich früher eingereiht. Der Be-
leuchtungseffekt erinnert an die 40er Jahre; der
* Vgt. Hofftede de Groot, Die Urkunden über Rem-
brandt, Nr. 2t3.
Abb. 13. REMBRANDT, Gehender Jude
(HdG. 1286).
Pinfelzeichnung, 14,8x6,3 cm.
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Gegen 1660 erreicht Rembrandt in der Ausdrucksfähigkeit und der damit Hand in
Hand gehenden Vereinfachung feines Striches einen Höhepunkt. Die Heilung des Aus-
fähigen (HdG. 1270) ift ein Blatt, das die genannten Eigenfchaften in hohem Maße
befißt; befonders feffeln hier die breiten Geftalten der beiden zufchauenden Jünger, in
deren Haltung und Ausdruck Verwunderung und leichter Zweifel mit den denkbar ein-
fachsten Mitteln anfchaulich gemacht find. Von womöglich noch größerer Wirkung
und nocli ergreifender, troß der verhäitnismäßigen Bedeutungslofigkeit des Vorganges,
ift durch die Schlichtheit der Darftellung die Szene zwifchen Boas und Ruth (HdG. 1254,
Abb. 10). Boas fchüttet aus einem Sieb die Gerfte in Ruths großen Schleier aus.
Ohne jede Beigabe, ohne auch nur eine Andeutung eines Hintergrundes ftehen die
beiden Geftalten ruhig und feft auf ihren Füßen
und widmen ihre ganze Andacht der einfachen
Handlung. Von gleicher, mit denfelben Mitteln
erreichter konzentrierter Stimmung ift die Darftel-
lung des Freundfchaftsbundes zwifchen David und
Jonathan (HdG. 1256, Abb. 11) erfüllt. Im Leide-
ner Verzeichnis hat Hofftede de Groot diefes reife
Blatt auf „etwa 1640" datiert; früher hatte er es
als „Aus der Spätzeit" katalogifiert gehabt. Diefe
leßte Beftimmung fcheint mir angefichts der großen
ftiliftifchen Verwandtfchaft mit der Ruth und Boas-
Darftellung dem Charakter der Zeichnung mehr zu
entfprechen. Die Übereinftimmung der Profillinien
bei Jonathan und Ruth ift — um nur auf eine
Einzelheit hinzuweifen - fo groß, daß man faft
annehmen möchte, fie feien an ein und demfelben
Tage aus der Feder gefloffen. Urkundlich ift über-
liefert^), daß Rembrandt im März 1659 an einem
Gemälde mit der „Hiftorie van Jonathan en Davidt"
arbeitete. In einer Zeichnung (in Berlin, HdG. 33),
die ficher aus der Spätzeit ftammt, ift die Gruppe
der beiden Freunde ganz entfprechend, nur im
Gegenfinn und in einer landfchaftlichen Umgebung,
dargeftellt. Da der feltene Vorwurf in Rembrandts
Werk fonft nicht nachzuweifen ift, drängt [ich einem
die Vermutung auf, daß die beiden unter fich eng
zufammenhängenden Zeichnungen zu dem verfchol-
lenen Gemälde von 1659 in Beziehung geftanden
haben.
Wegen der Weife der Lichtbehandlung hätte
ich die Befreiung Petri aus dem Kerker (HdG. 1277,
Abb. 12), die in Leiden auf „etwa 1663" angefeßt
wurde, gerne erheblich früher eingereiht. Der Be-
leuchtungseffekt erinnert an die 40er Jahre; der
* Vgt. Hofftede de Groot, Die Urkunden über Rem-
brandt, Nr. 2t3.
Abb. 13. REMBRANDT, Gehender Jude
(HdG. 1286).
Pinfelzeichnung, 14,8x6,3 cm.
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