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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 15.1923

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Heft 20
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Vondoerfer, P. E.: Gotische Meisterwerke der böhmischen Bildhauerkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.39945#0946
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Malerei beifpielsweife in Italien ißrer 3eit bereits weit vorausgeeilt und längft auf der
Flöße der Renaiffance angelangt.
Diefes Zurückbleiben ift jedoch nur vom rein ftiliftifcßen Standpunkt aus feftzuftellen.
In der künftlerifcßen Gefühlsäußerung fteßen die bößmifcßen Bildwerke der Gotik
zweifellos nicht hinter anderen großen Schulen zurück. Denn die Arbeiten diefer be-
dauerlicherweife wenig beachteten Kunftprovinz zeigen häufig nicht blos eine kühle
Vermittlung der entfprechenden Stellen der heiligen Schrift oder des Evangeliums, der
den Meiftern geläufigen Paffion und des Lebenswandels Chrifti, der heiligen Maria,
oder einzelner Begebenheiten aus dem neuen Ceftament, fondern fie verraten auch eine
zum Kerzen fprechende, feltenere Vertiefung in das Kiefen des Glaubens, ein menfcß-
lich fühlendes Miterleben. * *
*
tüie innig und fcßlicßt der fromme Gedanke des Meifters im Klerke zu Form und
Sprache wird, kommt bei keiner Darftellung des gotifchen 3eitalters zarter und an-
mutiger zum Ausdruck, wie bei den Idyllen der Geburt Chrifti. ünd in keinem Seit-
alter ift diefes ühema fo unausfprecßlicß zart idyllifch, fo feinfühlend behandelt worden,
wie in dem gotifchen.
Ein folches Klerk der böhmifchen Fjolzfcßnifekunft ift uns in dem „Fjocßrelief“ der
Geburt Chrifti im Mufeum der Stadt Prag erhalten geblieben (Abb. 1).
Nach Abfaffung meiner früheren Ausführungen kam mir ein Artikel über die Arbeit
aus der Feder des Verwalters des Prager Stadtmufeums, Anton Novotny, in die Fjand,
der aus den gleichen Empfindungen heraus feine Abhandlung gefcßrieben hat1. Er
erläutert eingangs, welche Seelenregung wohl den Schöpfer eines folchen Klerkes be-
wegt haben mag und fchildert die Szene, die fiel) am 24. Dezember des Jahres 1217
in der Grotte des Berges Greccio abfpielte; die rührende Gruppe der Krippe mit einem
lebenden Kindlein darin, das vom Atem eines Ochfen und eines Efels erwärmt wird,
der um diefes herumftehenden Mönche in braunen Kutten, die andächtig auf die Predigt
eines Bruders mit extatifeßem Ausdruck im Antlitz laufcßten, welcher kein anderer war,
als der heilige Franziskus von Affiß. Der Autor fchildert weiter, wie diefer große
Fjeilige als Erfter zu betrachten fei, welcher das Feft der Geburt des Fjeilands in folch
anfchaulicher, einzig dafteßender Kleife feierte; diefe unausfprechlich poetifche Dar-
ftellung ließ die Freude an der künftlerifchen Verarbeitung diefes ursprünglichen aller
cßriftlicßen Stoffe offenbar von Neuem aufkeimen, ünd nicht zum geringen Ceile
waren es auch die Bildfchnitjer, welche diefe erfte Szene aus dem Leben Chrifti in
ungemein idyllifchen, fein empfundenen Darftellungen gefchildert höben.
Der gewinnende 3auber, der von diefer Darftellung ausgeht, liegt in der anfeßau-
lichen Schlichtheit derfelben und der tiefen inneren Sammlung auf das heilige Gefchehnis
jeder der Geftalten. Die heilige Maria, vor dem Kindlein knieend, in rotem Kleid und
blauem, grün gefüttertem, mit Gold gefäumten Überwurf, ift in ftilles Gebet verfunken,
der heilige Jofeph bei den Eieren, hinter dem Fjolzfcßlag ftehend, in gegürtetem Ge-
wand, hält in der Linken eine (fehlende) Kerze, während er mit ßilfe der hohlen
Fläche feiner rechten Fjand das Licht auf das Kindlein fallen läßt, damit er, den Kopf
ein wenig vorgeneigt, daffelbe beffer betrachten könne. In feinem Antlitz liegt der
Ausdruck ruhiger, ernfter Andacht. Das nackte Jefukindlein liegt in der Mitte der
Gruppe, auf von drei Engeln gehaltenen, weißen Linnen. Die Anwefenßeit der Engel
mit dem auf dem Linnen rußenden Kindlein an Stelle der mit Stroh ausgelegten, ärm-
lichen Krippe, betont das Überirdifcße des heiligen Augenblicks; namentlich die Geftalt
des vorne links knieenden Engels mit dem ganz nach hinten, förmlich aus dem Rumpf
gedrehten Köpfchen, dem weit nach vorn, fteif ausgeftreckten Flügel und dem ßimmel-
1 „Eine gotifdje Schnitzarbeit: Die Geburt des fjerrn“ in der bößm. 3^itfchrift „Drobne um£ni“
(„Kleinkunft“) 1923, Qeft 1 (bisher die einzige lobenswerte Publikation diefes cnerkes mit leider
vollkommen mißlungener Reproduktion.)

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