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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Beenken, Hermann: Süddeutsche Steinmadonnen um 1300
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0090
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den Kopf ftark aus der Senkrechten dreht. Die Figur fdjwingt gegen die Standbein-
feite, und an der Spielbeinfeite fchieben fiel) die Glieder ins Profil.
(Hoher kommt der Stil diefes bedeutenden (Herkes, das — von zwei belangloferen
Grabfteinen abgefehen — zeitlich) an die Spitje der gotifchen Steinplafiik Nürnbergs
gehört? Ich glaube, nächftliegende Vorausfetjung find die Verkündigungsfiguren im
Regensburger Dom, die der große Meifter des Prüfeninger Erminoldgrabes von 1283
fchuf. 3ahlreiche Details ftimmen überein; die für die Nürnberger Madonna fo wefent-
liche Schärfung des Mimifchen ift nirgends fo vorbereitet, wie dort. Äber die aus-
führende F)3nd ift lüer eine andere, eine jüngere. So fehr das Körpergefühl des
13. Jahrhunderts überall durchfchlägt, fo fehr beginnt fid) doch fchon die Gewand-
maffe in neuer Homogenität zu ordnen. Die Faltenbahnen von Mantel und Hnter-
gewand beginnen ineinanderzulaufen; die Stilptjafe um 1330, in der fid) alles als ein
einziger nach einem Schema gegliederter Gewandblock konftituiert, bereitet fid) vor.
Das dreizehnte freut fid), die Stofffd)id)ten zu trennen, plaftifd) von einander zu löfen,
das vierzehnte ftrebt nach vereinheitlichender Blickführung über das Ganze hin. Symptom
für den Anbruch des Neuen ift die Verfd)iebung der reichen Mantelfchüffeln vom
Spielbeinoberfchenkel in die Schoßpartie, aus der Silhouette ins Innere der Figur
zwifchen feftigende Ränder. „Aus Kontrapoft wird Parallelismus“ (Pinder).
Die Lorenzer Madonna ift nicht ohne (Hirkung geblieben. An St. Lorenz felbft ift
die Cürpfoftenmadonna der großen wohl bald nach 1350 entftandenen (Heftportal-
anlage eine fchwäd)liche Nad)fcl)öpfung. Starreres monotoneres Schema hat die Inten-
fität plaftifchen Lebens und mimifchen Spieles, die dem älteren Stil eigentümlich ge-
wefen, verzehrt, (nichtiger ift eine andere Beziehung, auch zur Betätigung unferer
Frühdatierung der Madonna felbft. Die köftlid)e Statue der Hl. Katharina vom Se-
balder Südweftportal (jet$t im Inneren) muß die bedeutende Schöpfung der Schwefter-
kirche fchon vorausfe^en. Denn allein dies Vorbild vermag die edle Schlankheit der
fchon bald nach 1310 entftandenen Figur zu erklären, das feine Leben ihrer fchmalen
Hände, das ins Spifee Gezogene von Augen- und Mundwinkeln, von Locken und allen
Falten auch bei ihr, wodurch fie fiel) fo ganz aus der übrigen Plaftik der Portale
von St. Sebald löft, in der fie dennoch fichtlich werkftattmäßig wurzelt.
2. Madonna in der Sdjottenkirdje zu Regensburg
Die lebensgroße, durch neue Bemalung gröblich verunftaltete Schottenmadonna gilt als
ein (Herk des ausgehenden 14. Jahrhunderts1. In (Hahrheit aber ift fie eine die Seiten ver-
taufchende (Heiterbildung der Lorenzer Madonna und höchftens 25 bis 35 Jahre jünger als
diefe. Entfcheidendes fprid)t dafür, daß fie fogar eine Arbeit der gleichen Hand ift. Das
Spielen des Kindes mit dem rechten Füßchen, die Seitwärtsfd)iebung des Oberkörpers, das
Heraustreten des Spielbeinknies, das abfat^ofe Ineinanderüberfließen des fid) gegen das
Kinn verjüngenden Halfes und der Schultern, die Mimik des Antli^es, das Bervor-
ftechen der Brüfte unter den nur leicht deckenden Falten, und fchließlid) auch die Art,
wie die Säume des Kleides am Boden fchleifen, alle diefe in der Plaftik der 3eit
keineswegs gewöhnlichen und fehr perfönlid) wirkenden 3üge und noch andere find
identifd). Aber die ftarken mimifchen Kontrafte der älteren Figur betonen fleh in
Regensburg weniger. Die durd)get)ende Schwingung nimmt das Ganze ftärker mit,
macht fid) widerftandslofer geltend, indem der Körper fid) minder in eigenen Gliedern
und Gelenken bewegt als in der gleicbfam von außen ihn erfaffenden Kurve. Die
eine Seite der Figur nimmt nicht mehr in aktiver Bewegung Richtung gegen die andere.
1 B. Riehl: Bayerns Donautal. 1912, S. 118. Ebenfo Pp. M. Halm. Münchner Jahrbuch XI, S. 8.
Nach J. Schinnerer (Die gotifdje Plaftik Regensburgs. Straßburg 1918, S.90 f.) wenig fpäter als
der von ihm in die 50er Jahre gefegte Meifter des m. E. fchon um 1330 entftandenen Petrus an
einem der Domvierungspfeiler.

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