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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Wescher, Herta: Das Ende der altdeutschen Malerei und die antiklassische Strömung
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#1029
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wie Ratgebs Fjerrenberger Altar, Breus Orgelflügel in Augsburg, Fjubers Kreuzaufrid)-
tung, Baidungs fjexenbilder weniger in ihren lokalen ülurzeln als vielmehr in ihrer
gemeinfamen Abfid)t zu verftefyen find, gibt der Anpd)t Recht, daß diefe Künftler
aud) in einem zentralen Problem zu faßen [eien: ihrer Gegnerfcßaft gegen das klaf-
fifche Ideal.
In gewiffer Kleife arbeiten freilich aud) die „Gotiker“, Albredß Altdorfer, Nikolaus
Manuel, Fjans Leu, Grünewald, Ulrich Apt, der manieriftifcßen Bewegung vor, infofern
fie in der Cat aud) im Gegenfa^ zu Dürers Kunftleßre fid) befinden dadurch, daß fie
entgegen dem Normativen die Bildebene ßöcßft einfeitig belaßen. Von den Ma-
nieriften felbft unterfcßeiden fie fid) aber aud) darin wieder durd) die Einheitlichkeit
ihres [Hollens.
Denn eben diefe rücken nun aus der Cradition heraus in bewußte Kampfftellung:
und fo umfaffend weit [teilt fid) das befehdete Fjarmonieideal dar, daß es ungezählte
Angriffspunkte bietet und feine Gegner zerftreut und einander entfremdet, dährend
alfo die Vertreter des Gleichmaßes Dürer und Fjolbein d. J., Beßam, Pencz und die
Kleinmeifter in ihrem gemeinfamen (Heltgefühl zu faßen find, find es ihre Gegner jeder
nur in feiner „Manier“.
Um die Gleichgewichtsverteilung von Ruhe und Bewegung, Fülle und Lehre, Sym-
metrie und Asymmetrie, Linie und Farbe, Fläche und Volumen zu erfchüttern, konnte
diefer oder jener (Heg befchritten werden und oftmals erfolgt von beiden gegen-
teiligen Polen der Vorftoß, fo daß die konträrften Einteilungen zugleid) Geltung
gewinnen.
Neben Jörg Ratgeb, deffen Geftalten mit einer gleichfam metaphyfifchen Gefte auf-
treten und fo auch jeder finnlichen Körperlichkeit beraubt find, fteht Jörg Breu, der
alles immaterielle Gefühl durch die körperliche ttlud)t, Volumen und Funktion ertötet,
und fteht Fefelen, der in feiner „Adoration“ von 1531 das Kubifdße der Figur bis
zum Grotesken fteigert. Ihre Fjingabe an die Atmofphäre, den wechfelnden ftrömenden
Luftraum führt Fjuber und Baidung zu einer Auflöfung der feften Struktur fowohl des
Bildes, der Bildkompofition im ganzen, als auch des Konturs im einzelnen. Seb. Daig
und der ihm verwandte Meifter von Meßkird) wiederum treiben den Kult der Ding-
haftigkeit in der allbereiten Gegenwärtigkeit der Objekte, der die ältere Generation des
15. Jahrhunderts kennzeichnete, in eine neue äußerfte Möglichkeit.
Keiner diefer Meifter hat noch einmal Schule gemacht, keiner diefer Verfuche fd)eint
als Löfung empfunden worden zu fein, nicht einmal dort, wo der logifd)en Entwick-
lung fchaffenden Geiftes tieffte Überzeugungskraß innewohnte wie etwa, als Baidung
alternd eine neue UIe[enl)aftigkeit des Lichts offenbarte oder die — das Barock vor-
ausahnende — Erregung der Affymmetrie. Auch Dubers genialifd)er Drang, plaftifd)
zugleich und malerifd) zu geftalten, entrückt und doch körperhaß, hielt die allgemeine
3erfe£ung der Kunft nicht auf.
Schwankend in ihrer Stellungnahme ift diefe Generation zwar ftärker als jede andere
der Beeinßuffung zugänglich, aber fie nimmt anders Geartetes um feiner befonderen Ten-
denz willen, nicht im Fjinblick auf künftlerifches Verwandtfchaftsgefühl auf, und fo bleibt
die gegenfeitige Annäherung unvollkommen und verfchmilzt nicht mehr zu lebensfähigen
Gemeinfd)aßen. Spontan werden neue Ideen aufgegriffen und ebenfo oft eine (zu-
fällige) Abkehr von der Norm ebenfo fchnell widerrufen. Einzelne empßnden plötßid)
jene (Unregelmäßigkeiten der Körperbezeichnung und Disproportionierung, wie fie erft-
malig aus feelifcher Ergriffenheit gewadffen (bei Pacher etwa oder in Dürers Marien-
leben), als Mittel zum 3weck und gleichen dann von fern Antiklaffikern, fo Fjolbein
in feiner früheren Bafler Paffion, Kulmbad) in den Petrus-Paulustafeln in Florenz.
Starr und programmatifch bleibt dagegen das Schaffen derer, die erft ein ftärkerer
Anftoß aus der Bahn ihres bekömmlichen Sd)ulganges warf. Daß fie in Italien fucßten
und h°lten, ift nicht fo verwundernd) als wo fie das Neue holten- Vor allem ift es

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