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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Wescher, Herta: Das Ende der altdeutschen Malerei und die antiklassische Strömung
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#1028

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Das Ende der altdeutfdjen Malerei
und die antiklaffifdje Strömung
Mit vier Abbildungen auf zwei Tafeln Von H. WESCHER-KAUERT

Daß die große deutfcße Malerei des 16. Jahrhunderts, faßt in einer einzigen Gene-
ration aus traditioneller Befangenheit heraus zur Blüte getrieben, mit diefer zu-
gleich wieder erlifcht, [djeint einem organifd)en Entwicklungsverlauf zu wider-
fprechen und faft durch eine gewaltfame Urfache bedingt.
Die akademifche Richtung der Ämann und Stimmer, wie fie fid) um die Jahrhundert-
mitte mit Hilfe einer an fiel) ausgereiften, fd)on faft äußerlich gewordenen Form eines
Einzelnen (Fjolbeins d. J.) konfolidiert, zieht im weiteren aus fremden ÜUurzeln ihre
kümmerliche Kraft und kann als Ende der großen deutfehen Epoche kaum angefehen
werden.
Die Maler aber, die zeitlich bis zu jenen hinreichen, Huber, der Meifter von Meß-
kird), der alte Cranad), aus einer Blutsfolge mit den vorangegangenen Grünewald,
Burgkmair, Altdorfer, ziehen in Wirklichkeit als leiste Ausbeuter und Ausdeuter die
deutfd)e Kunft mit fid) zu Grabe.
Die 3eit der Reformation, die um Lehre und Glauben wie um etwas Dafeinsnot-
wendiges ficht, fud)t auch im Kunftwerk das künftlerifche Programm, und jeder Meifter
nimmt fchöpferifd) den Kampf um die Überzeugungen auf. An der Heftigkeit diefes
Streites aber fcheinen die kulturellen Kräfte erlahmt zu fein.
Bemüht man fiel), auf künftlerifchem Boden die Parteien zu fondern, fo ergibt fich
das merkwürdige Bild, daß alle gegen einen ftehen, einen Gegner, der darum faft wie
ein Idol, ein Begriff erfdjeint: die Klaffik, um die fid) Dürer feit Italien theoretifd) be-
müht, und die in feinem Werk, wenn überhaupt, verdichtet ift. Ihr (Hefen ift Har-
monie, Ausgleich all jener Gegenfäße, aus denen das Kunftwerk entfteht, wie aus
Form und Inhalt, Verfd)leierung und Verdeutlichung, Vielheit und Einheit, 3ufälligkeit
und Bewußtheit.
Gleichmaß aller diefer Kräfte liegt vor und hinter aller Kunft wie vollkommenfte
Harmonie der üöne, der Dreiklang, vor und hinter aller mufikalifchen Schöpfung liegt;
und zwifchen Anfang und Ende bedeutet jedes Kunftwerk die fubjektive Bewältigung
diefes ewig klaffenden 3wiefpaltes.
Jede Annäherung an das 3ml — und es muß deren fo viele geben als es Gegen-
fäfee der genannten Art gibt — erfüllt notwendigerweise mit Furcht vor der lebten
Entfpannung. Darum bewirkte jene Prägung einer idealen Norm, wie fie aus Antike,
Renaiffance und Humanismus im 16. Jahrhundert hervorging, in den mitbetroffenen
Künftlern eine gewiffe Furcht, die fie trieb, individuelle Geftaltung einer folchen
drohenden Sd)ablonifierung entgegenzuftellen.
Anziehung und Abftoßung mögen fid) gefolgt fein, und gegen Dürers Erfolg erhebt
fid) unmittelbar die Gegenftrömung, die wir hßute Manierismus, antiklaffifchen Stil
nennen, die dem Gedanken des Allgemeingültigen den Anfprud) des formalen Subjek-
tivismus gegenüberftellte.
Es muß zu Irrtümern führen, wollte man aus der Kunftbetrad)tung, die allein den
Gegenfatj Klaffik und Gotik fieht, Dürer contra Grünewald, Erfcheinungen wie Jörg
Ratgeb, Sebaftian Daig, Jörg Breu nicht anders denn als Fortführer der gotifchen
Linie hinn^hmen- Der Abftand zwifchen jener bodenftändigen Nid)tklaffik, wie fie am
eindringlich)ften und geläußgften im Ifenheimer Altar verkörpert ift, und diefem neuen,
theoretifchen Kunftwollen darf nicht verkannt werden. Und daß andererfeits Werke

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