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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Lill, Georg: Die früheste deutsche Vespergruppe
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0684

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Die früfyefte deutfdje Vefpergruppe

Mit drei Tafeln

Von GEORG LILL

ie wenig wir bisher das Gefamtmaterial innerhalb der deutfcßen Plaftik über-


fcßauen, erpeßt man wieder einmal daraus, daß troß des überaus lebhaften

* v Intereffes, das die Vefpergruppe gerade in letzter 3eit innerhalb der wiffen-
fcßaftlicßen Forfcßung jindet1, jefet erft faft zufällig eine Gruppe auftaucßt, die als die
bisher früßefte Darftellung diefes myftifcßen Andacßtsbildes anzufprecßen ift und auf
feine Entpeßung und Entwicklung ein ganz neues Ließt zu werfen berufen ift. Pro-
feffor Felix Mader bringt die erfte Kunde davon in feinem eben erfeßienenen, äußerft
umfangreießen und viel Überrafcßendes bietenden Inventarband über „Die Stadt Eicß-
ftätt“2. [Dieder taueßt aus den durdß die Klaufur geßeiligten und desßalb nießt zu-
gänglicßen Räumen eines Frauenklofters, diesmal der alteßrwürdigen Benedikterinnen-
abtei St. [Dalburg in Eicßftätt, eines der Ändacßtsbilder auf, die gerade in der myftifcß-
betradßtenden Gebetsweife der Frauenklöfter ißre erfte fjeim- und Keimftätte ge-
funden ßaben.
ünberüßrt dureß Eingriffe der 3eit, mit derfelben Liebe dureß Jaßrßunderte geßegt,
fteßt die Gruppe aus Fjolz in der alten Originalfaffung ßeute noeß da. Von mittlerer
Größe mißt fie 80 cm. Auf einem Sockel, der die einfachen Profile der früßen Gotik
aufweift, fteßt die Eßronbank, auf der Maria ganz unbewegt, in ftrengfter frontaler
Symmetrie, fißt. Mit den beiden derben fänden ßält fie den knabenßaft kleinen Leicß-
nam, der -— ziemlicß ungewößnlicß — von links naeß reeßts gerießtet, in feßarfer Dia-
gonale den Oberkörper überfeßneidet. Die Füße find in faft recßteckigem [Dinkel ab-
gebogen, der linke Arm läuft parallel zum Körper, wäßrend der reeßte in geringer
Erßebung auf dem Arm Mariens aufliegt, fo daß formal ein ganz fpitjer [Dinkel durdß
die Arme gebildet wird, der wie ein Pfeil in die Kompoption ßineinftößt. Maria trägt
ein rotes Gewand, über das pcß das weiße Kopftucß und der weiße Mantel legt. Eben-
falls weiß ip das Lendentucß Cßrifti. Breite goldene Borten in aufgelegtem Stuck
fäumen die Gewänder und umzießen aucß Fußbank — mit der Rosa mystica ge-
fcßmückt — und Sockel.
In der geiftigen Einftellung bietet die Gruppe die größte Überrafcßung; denn die
„fcßmerzßafte Muttergottes“, der eigentlicß maßgebende Grundgedanke des deutfcßen
Vefperbildes des 14. Jaßrßunderts, ift ßier noeß nießt einmal im Keime zu fpüren. See-
lifcß völlig unbewegt, in einer reintranszendent-repräfentativen Haltung tßront Maria genau,
wie bei den byzantinifeßen üypen der Fjodegetria und Nikopoia in ißren zaßlreicßen
wefteuropäifdßen Ausprägungen des 12. und 13. Jaßrßunderts. CDie pe bei diefen den
fegnenden Cßriftusknaben den Gläubigen zur Vereßrung darbietet, fo jetjt den Leicßnam
Cßrifti. Gewiß ift es der Leicßnam, der gelitten ßat; aber aucß diefes Leiden wird
nur repräfentativ aufgezeießnet, dureß Dornenkrone, rote ftarke Blutstrauben und un-
beßolfene Codesftarre, aber keineswegs in der aufwüßlenden Aktivität, die aucß noeß
im verrenkten und verunftalteten Körper nacßlebt. Selbft das Gepcßt bleibt ganz un-
bewegt. [Die eine Fjolzpgur, eine Puppe, nießt wie ein Menfcßenleib liegt er in den
1 Frij5 Cüitte, Die Skulpturen der Sammlung Schnütgen in Cöln. Berlin 1912, S. 46f.
Klilt). Pinder, Marienklage, in „Genius“, I. (1919), S. 201 ff. — Derf., Die did)terifd)e Hlurzel
der Pieta, in „Repert. f. Kunpwiff.“, XLII (1920), S. 145p — Derf., Die Pieta. Leipzig 1922.
Ctjeod. Demmler, Die mittelalterlichen Pietägruppen im Kaifer Friedricß-Mufeum, in „Berliner
Mufeen“, XLII (1920/21), S. 117ff.
Jul. Baum, Got. Bildwerke Schwabens. Augsburg 1921. S. 72p.
lüalter Paffarge, Das deutfehe Vefperbild im Mittelalter. Köln 1924.
2 Die Kunftdenkmäler Bayerns, Reg.-Bezirk Mittelfranken, Bd. I. Stadt Eichßätt. München 1924..
S. 283 u. Fig. 211.
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