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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Martinie, Henri: Der zweite Salon der Tuilerien
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0799

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Der zweite Salon der Cuilerien
Von H. MARTINIE

Der zweite Salon der Cuilerien eröffnet verfpätet feine Pforten, aber die Schwierigkeiten, mit
denen er zur Freude feiner Gegner zu kämpfen batte, fcbeinen auf lange 3eit hinaus überwunden
zu fein. In herrlicher Lage am Eingang zum „Bois de Boulogne“ errichtete der Architekt Perret
ihm eine Fjeimßätte, einen geräumigen „Palaft im Bois“, der gut ausfiebt und verftändig belichtet
ift. Es ift ein mit Verftändnis für Ausßellungszwecke gefdjaffenes Gebäude, wo pd) das, was
man feben will, unter den günftigften Bedingungen darpellt. Die freundliche Aufnahme von feiten
der Kritik läßt das Beße für den Erfolg vorberfagen.
Die vorherrfchende Cendenz der Salons, die jedenfalls in den beften Leiftungen zutage tritt, be-
deutet die Rückkehr zur Mäßigung und Ausgeglichenheit. Die ehemaligen „Fauves“ haben pd)
beruhigt, und die Begabtepen haben endlich ihr Calent voll entwickelt. Die febr vereinzelten,
beharrlichen Kubiften verblüffen lediglich noch durch ihre Bedeutungslopgkeit. Der Aufdringlicbße
unter ihnen erregt trotj feines prätentiöfen Feuerwerks nicht einmal mehr Neugierde; er wird als
Plakatfabrikant eingefcbätß. Und das ift gut fo. Die am böcbßen ftebenden merke erweifen pcb
pets als die freießen, ebenfo weit entfernt von akademifcher Gebundenheit wie von Extravaganz.
Ein Saal beßätigt befonders diefe Bemerkungen: Es ift derjenige, in welchem die von Matiffe,
Dufresne und Coubine eingefandten Gemälde vereinigt pnd. Alle drei Kürißler kamen von der
allerfortgefcbrittenften Malerei aus der 3eit vor dem Kriege her, aber alle drei befreiten pd)
— jeder auf feine Art — von den Feffeln des Syßems. Der Älteße, I)enri Matiffe, hat feit
Jahren fcbon feine Formel der Befreiung gefunden. Id) habe von ihm ausführlich gelegentlich
feiner Frübjabrsausßellung in einem früheren Fjeft des „Cicerone“ gefprocben. Sein „Akt auf
blauem Kiffen“ vereinigt mit einzigartigen koloriftifcben Qualitäten eine folide 3eid)nung und klare
Modellierung der Gepalt. Das ift weit mehr als ein dekoratives Bild, das ift ein Gemälde, eine
farbige Darftellung, die das Auge entzückt und den Geiß feffelt. In unmittelbarer Nähe davon
zwei große Arbeiten von Dufresne. 3weifellos ift das Sujet nicht leidet zu erkennen, aber der
Eindruck der Großartigkeit, die tiefen Cöne, gleichzeitig ernß und freudig, wirken feffelnd. Prüft
man dann die Einzelheiten, fo wird man bald von der launigen Pbantaße feiner künßlerifcben
Eingebungen überwältigt. In der Nähe oder aus der Ferne gefeben — eine tiefinnere Fjarmonie
berrfd)t vor und teilt pch uns mit; man liebt diefe fremdartigen und ergreifenden Akkorde wie
die Cöne des tiefen Fjornes.
Die kapriziöfefte und die fd)lid)teße Pbantape kann pd) hier beimifd) fühlen. Am erftaunlid)ßen
iß es, wie gut in diefer erdrückenden Nad)barfd)aft die Landfcbaften von Coubine in ihrer Gegen-
fätjlicbkeit wirken, zart und barmonifd) wie eine einfd)meid)elnde Melodie nad) dem Ord)efter
des Dufresne. So antwortet im Ord)efter die Flöte den Bläfern. Croi?> des befd)ränkten Formates
erßrecken pd) die provencalifd)en Landfcbaften Coubines weit in die Ferne, und ihre Poepe teilt
Pd) dem Befcßauer mit. Eine „Spinnerin“ ftellt in ihren ernften Cönen die Dominante einer Skala
in Grau von zarter Fülle dar. Eine etwas herbe, empfindfame und gedankenvolle Kunft, durd)
die Coubines Stellung unter den modernen Malern immer bedeutender wird.
ttler nichts als diefen Saal gefeben hat, kennt troffdem das tüefentlicbe des Salons. Dies muß
zweifellos aud) die Anpd)t verfdffedener Ausßeller fein, nach ihren allzu interefperten Anleihen
zu urteilen. Der Befucber trifft hier und da äußerliche Nachahmungen von Dufresne, das Fenßer-
motiv von Matiffe oder deffen klare Farbentöne, die gewöhnlich werden, wenn pe ein anderer als
er anwendet; die provengalifcbe Landfcbaft ä la Coubine erfreut pch einer wachenden Beliebtheit.
Selbß bekannte Maler machen Schulden und erkennen pe nicht an.
Unter den anderen ausgeßellten Bildern, die uns unter allerlei Benennungen auffallen, pnd zu
vermerken die Arbeiten von:
Albert Andre (zwei Bilder von erprobter Qualität); Acher; Auffray (von pcherem und vielfeitigem
Gefcbmack); Affelin; Barat-Levraux (ein faß zum 3erbred)en gequälter Akt von zu einförmigem
Con, friedliche und beruhigte Landfcbaften); Barth (ein feines Calent, das aber febr gefährdet iß,
wenn er nicht in die freie Natur geht und Corot vergißt); Billette (immer frei); Biffiere (feine Art
wird immer freier; er brauchte nur noch auf die leßten Reße eines doktrinären Qnpnns zu ver-
zichten, den er vielleicht noch nicht zu opfern wagt); Maria Blancbard (Porträts von intenpvem,
leuchtendem Leben unter einer Fülle nervöfer Pinfelßricbe, die pch in reine Akkorde auflöfen);
Boffbard (die Gegenßände fd)illernd und koftbar ohne Fjärte, feltene Feinheit des Emppndens; eine
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