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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Die Zeit und der Markt
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0534

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DIE ZEIT UND DER MARKT

Sammlungen
Neues von der Petersburger Eremitage
Die Äusftellung franzöfifd)er Litho-
graphien / Magnasco und Beilotto / Die
Malerei des 19. Jahrhunderts / Kata-
loge der Ausheilungen, der Fayencen
und des altenglifchen Silbers
Je ftiller im allgemeinen das Leben und Crei-
ben der ehemaligen Newakapitaie wird — wie
bekannt, i[t pe nach dem Fjinfcheiden Lenis in
Leningrad umgetauft — defto mehr lenkt
der energifche Pulsfchlag der dortigen Mufeen
die Hufmerkfamkeit auf fid). In erfter Reihe gilt
dies von der Eremitage, wo wiederum über eine
Reihe von fpeziellen Ausheilungen und Publi-
kationen zu berichten ift. —
Verhältnismäßig wenig bekannt ift die gra-
phifche Sammlung der Eremitage, welche jetzt
unter der kundigen Leitung des Fjerrn Stephan
P. Jaremitfch |teht und deren Katalog von letz-
terem bereits für den Druck vorbereitet wird. Ob-
wohl durchaus nicht fyftematifch angelegt und
weitergeführt, i|t diefe Sammlung doch von
größtem tüert und enthält unendlich viel feltene
und koftbare Blätter, was bei der unlängft arran-
gierten „Ausheilung franzöfifcher Litho-
graphien“ befonders fchlagend zutage trat.—
Die Schau befchränkt fid) auf die Blütezeit
des franzößfchen Steindrucks von ihrem Beginn
bis ins dritte Viertel des vorigen Jahrhunderts,
und von den großen Meißern diefer glänzenden
Epoche fehlen nur einige wenige, wiePrudhon,
Chafferiau und C. Nanteuil. Die meiften
dagegen find mit prächtigen, oft auch hand-
kolorierten Blättern und Suiten vertreten. Den
Ausgangspunkt bilden einige Inkunabeln der
franzöfifchen Lithographie von Fjorace Ver-
net, dem Miniaturiften Ifabey, Boilly und
dem noch hark im Dixhuitieme fteckenden Jean
Marlet, aus deffen äußerft feltener Serie „Ca-
bleaux de Paris“ von 1820. In der Romantiker-
gruppe figurieren nebenlngres, Gericault, Dela-
croix, Decamps, Barye, Eugene Jfabey,
Bonnigton und A. Deveria, alsdann die gro-
ßen Parifer Anpcßten von Champin (1836), fo-
wie die fehr feltene Suite von Jofeph Jony,
Cypen der Normandie darftellend. Natürlich
fehlen auch die Meifter der Napoleonlegende,
Charlet und Raffet, nicht. Der Schwer- und
Glanzpunkt der Ausheilung liegt jedoch zweifel-
los in den berühmten Karikaturisten und Sitten-
fchilderern der Juftemilieuzeit. Von Daumier
und Gavarni ift ein überreiches und vielfeitiges
Oeuvre in herrlichen, meift kolorierten Drucken
vorhanden, und auch die fid) um diefe Sterne
gruppierenden Künftler- Lithographen, wie
Cravies, Chom, Grandville, Beaumont,

Geniole, Vernier u. a. pnd vielfad) ver-
treten. —
Die in Angriff genommene Erweiterung der
Eremitage-Galerie, um für die ihr zugefloffenen
reichen, neuen Behände Platz zu fd)affen, welche
im vorigen Jahre die Eröffnung einer Fiud)t
neuer Säle mit Gemälden franzöfifcher Maler
des 18. Jahrhunderts brachte, ift nunmehr nach
zwei Richtungen weitergeführt worden. 3eit-
weilig, bis zur radikalen Neuordnung der gan-
zen Galerie, find drei Säle mit Italienern des 17.
und 18. Jahrhunderts der Befichtigung zugäng-
lich gemacht und den Gemälden fmd hier auch
3eid)nungen und Skulpturen beigefügt. Das
Intereffe konzentriert pd) hauptfäd)lich auf zwei
Künftler, welche außerordentlich reich repräfen-
tiertpnd. — Aleffandro Magnasco und Ber-
nardo Bellotto. Von erfterm find im ganzen
fieben Bilder zufammengebracht, darunter zwei
herrliche Landfchaften, die 1918 von der Ere-
mitage erworben wurden; im folgenden Saale
feffelt Bellotto mit feiner Serie Dresdner und
Pirnaer Anßchten — jenen Repliken aus der
Sammlung des Grafen Brühl, die mit letzterer
feinerzeit nach Petersburg kamen und bis zur
Revolution im Gatfchina-Schloß verborgen blie-
ben, um erft jetzt wieder von den Befucbern der
Eremitage bewundert zu werden. Mit mehr
oder weniger bedeutenden Einzelwerken find
noch viele Fjauptmeifter der italienifchen Malerei
diefer Epoche vertreten. Außerdem fei bemerkt,
daß von unter ftarkem italienifchen Einßuß ar-
beitenden deutfchen Künftlern der Nürnberger
Johann Murrer (fein ausgezeichnetes männ-
liches Bildnis wurde früher dem Luca Giordano
zugefd)rieben), Karl Loth, ünterberger und
F. K. Palko hier pgurieren. —
Die neueröffneten, der Malerei des 19. Jahr-
hunderts gewidmeten fed)S Säle bilden für die
Eremitage aud) programmatifd) eine Bereiche-
rung, da eine derartige Abteilung bisher im Mu-
feum überhaupt nicht exiftierte. Allzu impo-
fant ift die öüirkung allerdings nicht, denn die
Fjauptakzente fehlen und die 3al)l wirklich her-
vorragender Cüerke ift gering. 3um Anziehend-
ften, außerhalb des Porträts, gehören die Grup-
pen der Barbizonmeifter (Corot, Millet, Diaz,
Dupre, Ch-Rouffeau, Croyon, Daubigny
u. a.), fowie der franzöfifchen Orientaliften aus
der Mitte des Jahrhunderts (Delacroix, De-
camps, Marilhat, Frere, Fromentin), ob-
wohl auch hier meiftens nur Mittelgut vorhan-
den i|L Alle diefe Bilder kommen aus der Samm-
lung des Grafen N. A. Kufcheleff-Befbsrodko,
welche ßd) früher im Mufeum der Petersburger
Kunftakademie befand, und letzterem entflammen
aud) die langweiligen Fjiftorien eines Gallait,
de Kayfer, Delarocbe oder Ary Scheffer, die allzu
vielen füßlid)en Genrebilder diefer Epoche und

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