Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

DOI Artikel:
Die Zeit und der Markt
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0438

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
DIE ZEIT UND DER MARKT

Sammlungen
Das Ruffifd^e Mufeum in Peters-
burg (Leningrad)
Im Laufe des vergangenen Klinters hat das
Ruffifche Mufeum in Leningrad (ehemaliges
Mufeum Alexander III.) der Reihe nach zwei
Sonderausftellungen arrangiert. Die erfte gab
ein recht erfcböpfendes Bild der ruffifchen Ori-
ginallithographie während des lebten Luftrums,
auf der folgenden war derVerfuch gemacht, die
fog. Stroganoff-Schule der altruffifdben Ikonen-
malerei als ein Ganzes darzuftellen. —
Die Kliederbelebung der Künftlerlithographie
in Rußland ift mit dem Künftlerkreis der von
Djagileff geleiteten 3eitfd)rift „Mir Iskußtwa“
eng verknüpft, welche um die Klende des lau-
fenden Jahrhunderts von fo entfcheidender Wir-
kung auf die ganze rufßfche Kunft war. Qnd
die erften modernen Originallithos wurden von
den Künftlern diefes Verbands gefchaffen, fo von
Bakft, Alex. Benois, Sjeroff, Maljawin,
Frau Oftroumowa, Roehrich, zu denen pd)
fpäter noch andere gefeilten, wie z. B. der jetzt
in Berlin tätige L. Pafternak. Doch handelte
es fich hier überall nur um Einzelverfuche, die
lange 3eit ohne Folge blieben und jedenfalls
keine Schule machten. Erft in den allerletzten
Jahren macht pch wieder ein lebhafteres Inter-
effe für den Steindruck bemerkbar und, wenig-
ßens quantitativ, ift fchon ein anfehnlidjes litho-
graphifches Oeuvre vorhanden. Eine ganze Reihe
lithographifcher Alben, fo von Frau Oftro-
umowa und M. Dobufhinfkij (Petersburger
Anfichten), G. Klerejfkij (Künßlerporträts), B.
Kuftodjew (Rufpfches Landleben) — fämtlid)
von dem „Komitee für Populariperung von Kunß-
büchern“, Leningrad, herausgegeben — ferner
von P. Kufnefjoff (Curkeftan und Buchara),
K. Bogajewskij (Motive aus der Krim) —
Staatsverlag Moskau — u. a. pnd vor kurzem
erfd)ienen, und manch fchönes Blatt feffelt in
diefen Serien. Aber im großen und ganzen iß
hier nichts hervorragendes geboten und die
Lithographie fcheint meißens nur die Rolle einer
bequemen Reproduktionstechnik zu fpielen, ohne
ihr eigentliches künftlerifches Kiefen zu offen-
baren. Starke Eigenart, bedeutende Calente pnd
hier nicht zumVorfcbein gekommen, und jeden-
falls kann der neueße rufpfcbe Steindruck dem
jetzigen rufpfchen Fjolzfchnitt nichts zur Seite
ßellen, was mit der führenden Perfönlichkeit
eines Klladimir Faworskij und feiner Kol-
legen den Vergleich aushielte. — Schade, daß
die Lithographien-Ausßellung des Rufpfchen Mu-
feums, die zeitlich mit der noch zu befprecben-
den Ausßellung franzöfifcher Lithos in der Ere-
mitage zufammenpel, pch nur auf die neueße
Phafe befdjränkte. Kläre nod) eine retrofpek-

tive Abteilung vorhanden, fo wäre hier die fel-
tene Gelegenheit geboten, de visu den parken
Einfluß des franzöpfcpen Steindrucks auf den
ruffifchen bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts
in allen Einzelfällen zu fixieren. —
* *
*
Das Material für die Ausßellung von„Kunft-
werken der Stroganoff-Schule“ war nicht
nur den Beftänden des Rufpfchen Mufeums, fon-
dern z. C. auch andern Kunßfammlungen Lenin-
grads entnommen, wobei in erßer Reihe das
Stroganoff- Mufeum zu nennen iß, das feine
Ikonenfammlung hier zeitweilig exponierte. Im
ganzen waren über 80 Cafelbilder nebß einigen
herrlichen Stickereien religiöfen Inhalts zufam-
mengebracht, welche ein vielfeitiges, wenn auch
nicht ganz erfcflöpfendes Bild jener Epoche alt—
rufßfcher fakraler Kunft gaben, die gemeiniglich
unter dem Namen „Stroganoff-Schule“ zufam-
mengefaßt wird.
Diefer Begriff iß im Grunde kein feftftehender
und zeitlich ßreng umgrenzter, wie ja überhaupt
die gefchichtliche und künftlerifche Entwicklung
der altrufpfchen Ikonenmalerei noch endgültig
nicht erforfcht iß und gerade letzthin hier ganz
neue Geßchtspunkte und Catfachen in den Vor-
dergrund getreten pnd, welche eine ziemlich
radikale Umwertung der diesbezüglichen bis-
herigen Literatur zur Folge haben werden. Die
fogenannte „Stroganoff-Schule“ fetzt ungefähr
um die Mitte des 16. Jahrhunderts ein und hat
ihren Namen von den Stroganoffs erhalten —
einer dem Bauernßande entftammenden Familie,
welche in der Kolonifation des Oftens Rußlands
fowie Sibiriens eine fo bedeutende Rolle fpielte
und mit der3eit zu großem Anfehen und Reich-
tum gelangte. Die Stroganoffs unterhielten eine
Reihe eigener Ateliers für Ikonenmalerei, deren
Kunßfertigkeit von den 3eitgenoffen fehr ge-
feilt war und deren Meißer fogar oft für den
3arenhof in Moskau arbeiteten. Die verfeinerte,
eklektifche Kunft diefer Meißer war an Stelle
der abßerbenden, großzügigen monumental-de-
korativen Kirchenmalerei Nowgorods getreten,
in welcher die neo-bgzantinifchen Craditionen
endgültig zu einer national-rufßfchen Kunß ver-
arbeitet worden waren. Änklänge diefer letztem
pnd natürlich in der Stroganoff - Schule noch
fichtbar, aber der Einfluß wefteuropäifcher Bibel-
illuftration in Bolz- und Kupferftid) tritt hier
immer ftärker hervor, und dazu gefeilt pch eine
aus dem Orient kommende Vorliebe für detail-
lierte Ornamentik und miniaturenhafte Behand-
lung der Form. Die fonore Kolorißik früher
Ikonen fchwindet immer mehr, um einer tonigen
Malerei Platz zu machen, die oft faß ganz in
Monochromie übergeht. Alles in allem eine be-
reits ariftokratifche, ins Kleinliche gehende Kunß
die dem Gefchmack der höheren Kreife des pch

414
 
Annotationen