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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Ergänzungen und Berichtigungen zu den Verzeichnissen Heinrich Wichmanns in seinem Buch über Leonaert Bramer, Leipzig 1923
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Die Zeit und der Markt
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0354

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ER MARKT

Äusftellungen
Berliner Äusftellangen
Deutfdje Meifter des Rokoko und der
Romantik / Ci). Rowlandfon / Graphik
O. Kokofd)kas.
Ein zufälliges (vielleicht and) in der Elirt-
fdjaftslage motiviertes) 3ufammentreffen von
Graphik-Darbietungen, und zwar von hiforifd)
oder durch die Gegenwart beglaubigten Eierten,
nicht von Debütanten. Ällerdings zeigte die von
P. F. Schmidt adminiftrierte Aus|'tellung von
Aquarellen und Randzeiel)nungen deut-
fcher Meifter des Rokoko und der Ro-
mantik, mit der die Firma Reiß & Krüger
einen feijr angenehm disponierten Salon eröffnet
hat, fo manches uns neue Gefickt. Nidjt zuletzt
durdj die Arbeiten Sdjinidis ift ja der baijn-
bredjende Rinweis der Darmftädter Ausheilung
von 1914 auf die völlig ungehobenen Sd)ä|e
des deutfdjen 18. Säkulums aufgenommen wor-
den, und gerade er Ijat immer wieder in der
3eid)nung diefer und der folgenden Epodjen,
in der Rinterlaffenfd)aft unzähliger kleiner Meifter
von halb vergeffenem Namen die eigeritlid) be-
deutfame Produktion fpezififd) deutfdjen Cha-
rakters erkennen gelehrt. Die nunmehr gebo-
tenen Blätter von durchfchnittlid) vortrefflicher
Qualität können nur das Intereffe an diefem
immer noch von Sammlern wie Forfd)ern kaum
nad) Gebühr gewürdigten Kapitel neuerlid) be-
leben. In diefem 3ufammenJt)ang muß ich mir
ein Eingehen auf einzelne Objekte leider ver-
jagen; es fei nur erwähnt, daß die Reihe etwa
von Cosmas Damian Äfam aus über Chodo-
wiecki, Rackert, 3 Rigg, Ra mb erg, zu Men-
ke n und dem befonders eindrudcsvollen C. EL
Kolbe, weiterhin über Genelli und Eläd)ter
zu Schnorr v. Carolsfeld und befd)eideneren
nazarenifchen 3eid)nern, und fd)ließlid) zu Ela-
genbauer, Jot). Adam Klein und Rid)ter
leitete. Sid)er, wie wäre es anders möglich,
begegnet man auf diefem Elege auch mancher
zunäd)ft wenig perfönlid) anmutenden Phyfo-
gnomie. Aber andrerfeits beginnt bereits Man-
cher, der bisher im Duzend kaum bemerkt wurde,
individuellen Eiert zu bedeuten, und Aushei-
lungen wie diefe find die befte Förderung unter-
fcheidender Erkenntnis. —
Auch Chotnas Rowlandfon (1756—1827) ift
bei uns mehr genannt als gekannt. RugoPerls
hat gegen hundert kolorierte Kupferftiche und
einige Aquarelle diefes elften reinen Karikatu-
riften des bürgerlidjen 3eitalters ausgeftellt, und
man darf fagen: es ift ein kleines Ereignis. Ro-
garth, der größere Vorgänger, ift zu entrüftet,
um ergötzlich zu fein; fein Stil hat das Stechende
des Sittenrichters, keine eigentlich karikaturi-

ftifche Irrealität und üngebundenl)eit. James
Gillray, Rowlandfons 3ekljenoffe, empfängt den
Antrieb zu feinen pamphletifchen Grotesken gänz-
lich vom Politifchen her; feine Reftigkeit will
aufputfcpen und nicht erlujtigen. Der britifcpc
Clownshumor hat erft in Rowlandfon feinen
klaffifchen Meifter gefunden. Bei ihm fpringt
der Einfall direkt in den Strich über, denn hier
ift er nicht polemifd), fondern vifuell konzipiert.
Sein unerfcl)öpflid)er Elifz verulkt Gefellfchafts-
typen, öffentlid)e Narrheiten und das Ped) des
Einzelnen. Dabei äußert er in burleskefter Über-
treibung ein an Daumier heranreichendes pfycho-
logifdjes Creffvermögen. Rowlandfon vermeidet
ultimative Schärfen, ift jedod) nid)t einfad) ein
harmlofer Scherzbold; er hat Bosheit undPhan-
taftik genug im Leibe, um unferem Vergnügen
etliches Entfefzen beizumifchen. Elenn er bei-
jpielsweife eine unheimlich korpulente Madame
zeichnet, an deren Fülle jedes Kor fett fcheitert,
und deren Gernal)! verzweifelt ßd) mühen läßt,
die Schnüre fefter zu ziehen, — [o gibt er diej'er
Leibesriejln eine puterrote, fauchende Bulldogg-
vifage von der Furchtbarkeit eines Angfttraums.
Berühmt ift fein „englifd)er'Cotentanz“ von 1814;
da fieht man etwa jenes Einbred)en der gräßlich
ftrampelnden Sd)littfd)u{)iäufer, begleitet vom
Rohngeläd)ter des Gerippes, — ein Blatt, deffen
Graufigkeit in einer feitfamen Mifcpung von ka-
rikaturiftifd)er Frechheit und Kataftrophentragik
befteht. Rowlandfon ift in feinem luftigen 3y"
nismus der Stammvater des angeljächffchen
knock about Rumors, letztens der Chaplinade.
Er ift dabei von einer Vitalität des Draftifchen,
die aud) vor der Prüderie feiner 3eit nicht Rait
mad)t. Er hat die fkurriiften Einfälle. Ein Blatt
fd)ildert vergnüglich eine Auktion englifcher
Schönheiten in Indien, ein anderes das Benehmen
der Cafehausgäfte, die vor einem tollen Rund
davonftiirzen. Angft und Enttäufchung, fei|tes
Phlegma und ftupides Genießerturn, Schnarchen,
Loben und Kriechen, Verlegenheit und Neugier
derMenfchen meiftert fein zunächft pludrig lofer,
anmutig über die Fläd)e lachender Strid), der
fid) dann zopfig verfteift, um fd)ließlid) robuftere
Bilderbogenwirkungen im Verein mit einer nicht
mehr fd)werlos-blaßbunten, fondern derbfarbigen
Kolorierung nad)zuftreben. Auffällig jene um-
fangreiche Serie miniaturiftifd) feingejtochener
Londoner Veduten, die zumal hohe kal)le Innen-
räume, etwa Cheater mit hundert ausführlid)
eingetragenen Logen und winzig wie Perlen
gereihten Figürd)en zeigen, deliziös in ihrer Akku-
rateffe und etwas fpleenigen Genauigkeit. Der
geiftreid) geiöfte, kringeiierende Rowlandfon ift
plötjlid) verfd)wunden. Und taud)t gekräftigt
wieder auf mit feiner unverwüftliehen Spottiaune.
Dies verwandlungsfähige Sd)affen deutet auf
Daumier voraus, aber aud) von Bufd), Ober-

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