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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Molsdorf, Wilhelm: Schongauer und Memling
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Titzmann, Karl: Zur Deutung der "Melancholie" Albrecht Dürers
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0748

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Studien und Forfd^ungen

üng den Eindruck, als vollziehe pch der Vorgang
unter dem Drucke ßarker Abfperrungsmaßregeln,
und das wirkt tot.
Leider ßel)t die Entßehungszeit von Memlings
Curiner Gemälde nicht feft, doch läßt die tjerr-
fdjende Anpdrjt dasfelbe dem in ganz ähnlicher
Gleife entworfenen Bilde der peben Freuden der
Maria von 1480 in der Münchner Pinakothek
vorangehen1. Man beruft pd) dafür vor allem
auf die Beobachtung, daß bei der le&tgenannten
Cafel infolge befferer Löfung des Problems der
Raumverteilung auf die einzelnen Szenen die
Kompoption des Ganzen weit mehr in Fluß ge-

1 Vgl. Kaemmerer: Memling. Bielefeld und Leipzig
1899, S.98f. — Clarburg im fatyrbud) der Kgl. Pr. Kunft-
fammlungen XXIII (1902), S. 247 f. — Die entgegengefe&te
.Hn[Id)t vertritt Voll: Die altniederländifd)e Malerei von
Jan van Eyck bis Memling. Leipzig 1906, S. 205f.

kommen iß als bei der Curiner Pafpon. Bei
diefer Jeitfolge der beiden verwandten Schöp-
fungen Memlings ergibt pch als fpäteßes Datum
für das Schongauerfcbe Blatt das Jahr 1479. Aus
ftilißifchen Gründen fetzt man die Kreuztragung
an das Ende der mittleren Schaffensperiode des
Kolmarer Stechers, in der Kraft und Ciefe des
Ausdrucks zu höchßer Entfaltung kommen, wäh-
rend die Vollendung im rein ftecherifchen Sinne
noch durch malerifche Cendenzen aufgehalten
wird1. Mit diefer Eingruppierung ließe pch eine
durch die Benutzung des Stiches vor 1480 ge-
rechtfertigte Verlegung des Blattes in die peben-
ziger Jahre des 15. Jahrhunderts fehr wohl in
Einklang bringen.
1 Vgl. dien dl and: Martin Sd)ongauer als Kupfer-
nerer. Berlin 1907, S. 54f. und Friedländer in der
3eitfd)rift für bildende Kunft L (1915), S. 105f.

3ur Deutung der „Melancholie“ Älbred)t Dürers
Von KARL TITZMANN

In feiner „Kunß Albredß Dürers“ hat Klölßlin
den überzeugenden Nachweis geführt, daß der
„Melancholie“ der Faußgedanke nicht zugrunde
liegt. Es muß alfo als feftgeftellt gelten, daß es
pch in diefem Meißerftich nicht um das fpeku-
lative Denken, den forfchenden Menfchengeift
handelt, der fehen muß, „daß wir nichts wißen
können“, fondern allgemein um eine Nieder-
gefchlagenheit der Seele, bei der nach Dürer
„die fchwarze Galle überhand nimmt“. Sie hat
in einem plötzlichen Verfagen der Nerven ihren
Grund, der wiederum eine Folge angeßrengter
geiftiger Arbeit iß.
Diefe Deutung ttlölßlins ößnet die Pforte
nicht ganz; denn pe läßt einen erheblichen Reß
von Gegenßänden des Stiches zurück, die eine
klarere Eingliederung erheifchen und in dem
Chaos der Dinge den Plan des Schöpfers deut-
licher erkennen laßen.
Die tlrfadje liegt m. E. in der einfeitigen Auf-
faßung, als handle pch’s in der Melancholie nur
um das geiftige Bemühen. Klas aber haben
Fjammer und 3ange, Fjobel und Säge, diefe
bervorragendßen und ausgefprochenßen Fjand-
werkzeuge, mit dem geiftigen Schaßen zu tun?
Cüas roll der Mühlßein, der dem jo fehr um-
grübelten geometrifchen Block an Größe nicht
viel nachßeht, bei einer geißig arbeitenden Frau?
ünd warum trägt diefe einen Beutel und ein
Sdjlüßelbund, Symbole der Fjausherrin?
tllölfßin meint: Das Qandwerkzeug |-0jj ajs
Vertreter der Cedjnik das üniverfelle des gei-
ßigen Bemühens kennzeichnen. Er erwähnt den

Mühlßein nur als Sitzgelegenheit des Engels.
Beutel und Schlüßel deutet er als Reichtum und
Macht, die es nicht vermögen, vor Melancholie
zu fchü^en.
Laßen wir die einfeitige Außaßung vom gei-
ftigen Bemühen fallen und fetzen an ihre Stelle
das menfchliche Bemühen, die Arbeit über-
haupt, die pch im Geißigen und Körperlichen
äußert, fo ergibt pch eine reßlofe und un-
gezwungene Deutung des tiefpnnigen Stiches.
Cüir dürfen dann annehmen, daß Dürer jene
Stimmung meint, die jeden Menfchen irgend-
einmal überkommt, der ftrebend wirkt, gleich-
viel, ob er mit dem Kopfe oder mit der Fjand
arbeitet.
3unächß ein hißorifcher Fjinweis: Der
Deutfche Kalender vom Jahre 1480, vermutlich
aus der Ofpzin des Anton Sorg in Augsburg,
bringt u. a. die vier Cemperamente und unter
diefen die Melancholie als erßes. Dargeftellt iß
ein Mann, der den Kopf auf den Cifd) ßüfet
und eine Frau, die untätig am Spinnrocken p|t.
Landläupg muß alfo die Außaßung gewefen
fein, daß der Grübler wie der praktifch Arbei-
tende mit der Melancholie zu tun haben, fei pe
nun lüefenszug oder Stimmung. Die Augsburger
Drucke wurden verhältnismäßig zahlreich her-
geftellt und waren fehr verbreitet. Die An-
nahme, daß Dürer pe kannte, iß fehr wahr-
fcheinlich. Er hat nun mit großem Griß das
Vollmenfchliche, die pfyd)ifd)e und phyßfche
Aktivität durch ein üüefen ausgedrückt, das er
übermenfehlicht, indem er es beßügelt.

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