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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Molsdorf, Wilhelm: Schongauer und Memling
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0747

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STUDIEN UND FORSCHUNGEN

Sd)ongauer und Mem
Martin Schongauer bat als erfter feinen Kupfer-
fticben regelmäßig fein Monogramm beigefet^t. Qm
fo bezeidpnender ift es für die Rechtsbegriffe vom
geiftigen Eigentum im 15. Jahrhundert, daß ge-
rade fein Oeuvre am meiften vonKopiften aus-
gebeutet wurde. Soweit der handwerksmäßige
Bilddruck daran Rnteil hat» bietet die mehr in
die Breite als in die Liefe gehende Verwertung
der Vorlagen zumeift recht wenig erfreuliche
Erfcheinungen, die für die Kunftgefchichte nur
infofern von Belang ßnd, als fid) aus ihnen mög-
licherweife Schlüffe auf die Entßehungszeit der
Originale ziehen laffen, deren Chronologie fehr
im Dunkel liegt. Ruders ßnd hingegen die Fälle
zu beurteilen, wo ein namhafter Künftler aus
dem graphifdjen COerke des Kolmarer Meifters
fich ein Motiv in Änerkennung feiner Vorbild-
lichkeit zum Mufter genommen hat.
Qnter Schongauers Stichen mit Momenten, die
eine weit über die Grenzen der Heimat hinaus-
gehende Bedeutung im typifchen Sinne erlangt
haben, fteht an erfter Stelle die große Kreuz-
tragung1. Bekannt ift, daß unter anderen keine
Geringeren als Dürer und Raffael aus diefer
Quelle gefchöpft haben, erfterer bei geidjnung
des entfprechenden Fjolzfchnittes der großen
Paffion (Bartfeh 10), letzterer beim Entwurf des
fog. Spasimo di Sicilia um 1517 im Prado. Da-
gegen fcheint es unbemerkt geblieben zu fein,
daß pd) auch Qans Memling in der Darftellung
des Auszugs zur Kreuzigung auf der Curiner
Paffion an den Sdbongauerfdben Kupferftid) an-
gelehnt hat. Diefe Beziehung gewinnt noch ein
erhöhtes Intereffe durch die Beobachtung einer
eigenartigen Kled)felwirkung auf künftlerifchem
Gebiete. Die theatralifche Behandlung der Kreuz-
tragung durch einen langen 3U9* der fich in
weiter Landfdjaft von Jerufalem nach Golgatha
fortbewegt, wird man lebten Endes als eine
Schöpfung der altniederländifchen Malerei an-
zufehen haben2 3. Bei der fonftigen ftarken Be-
einfluffung Schongauers durch die Niederländer
ift kaum zu bezweifeln, daß er das Schema von
dort übernommen hat, und nun gibt er das Motiv
in genialer Durchführung einem flämifchen Maler
als Vorlage wieder zurück. Selbftverftändlid)
fpielt ein Meifter von Rang die Rolle des Ko-
piften in einer wefentlich freieren Ruffaffung als
ein einfacher Formfehneider, und es kann daher
auch im vorliegenden Falle nicht von einer bis
1 Ba rt fd) 21. Vorzügliche üliedergabe bei Lebrs:
Martin Scbongauer. Nachbildungen feiner Kupferfticbe.
Berlin 1914 (5. außerordentliche Veröffentlichung der Gra-
pbifchen Gefelifchaft). Caf. 20.
3 Dvorak: „Sdjongauer und die niederländifd)e Ma-
lerei“ in deffen „Kunftgefchichte ais Gei[tesgefd)id)te“.
München 1924, S. 149-189.

j . Von WILHELM MOLSDORF / Mit
1 ^ 9 zwei Abbildungen auf einer Tafel
ins Detail gehenden fklavifchen Nachahmung
des Schongauerfchen Stiches durch Memling die
Rede fein, wohl aber von der Übernahme einer
die Kompofition beherrfchenden Idee. Beffer als
öüorte belehren uns herüber die beigegebenen
Rbbildungen, bei denen befonders folgende Be-
rührungspunkte beachtet fein wollen: der unter
dem Kreuz zufammenbrechende Chriftus in Ver-
bindung mit dem uns den Rücken zukehrenden
Schergen (bei Memling im Gegenfinne), fodann
die zwei gleichfalls von hinten gefeherien Reiter,
von denen der linke fiel) umdreht, und fd)ließ-
lid) die beiden nackten Schächer mit einander
zugewandten Köpfen und auf den Rücken ge-
bundenen Händen.
Ein Vergleich der beiden Darftellungen fällt
fehr zu Qngunften Memlings aus. Seine innige
und liebenswürdige Behandlung der Dinge er-
mangelt der Stärke der Phantafie, um verwickel-
teren Kompofitionen gerecht zu werden1, und
fo Unterläßt denn auch feine Kreuztragung
gegenüber der Schongauerfchen nur einen
fchwachen Eindruck. Das liegt nicht bloß daran,
daß in dem 3uge die Bewegung nicht fo recht
in Fluß kommen will, auch die einzelnen Ge-
walten erfcheinen zumeift in Stellung und Hand-
lung ziemlich kraftlos; man beachte nur, wie
fchwerfällig pd) die Straffung des Seils vollzieht,
und die Peitfche ohne Schwung geführt wird.
Befonders charakterißifd) für die gegenfätjliche
Eigenart beider Künßler ift jedoch die Ruffaf-
fung des linken Berittenen, der ßd) nad) Chrißus
umdreht. Ruf dem Schongauerfchen Blatte nimmt
gerade diefe Figur, die wol)l als verantwort-
licher Leiter der Exekution gedacht iß, durch
die wunderbare Erfaffung des Momentanen den
Blick gefangen, denn treffender als in dem Blin-
zeln des Ruges und in der zuckenden Bewegung
des rechten Rrmes konnte die durch den 3wi~
fchenfall verurfachte nervöfe Erregung des Rei-
ters überhaupt nicht zum Rusdruck gebracht
werden. Qm auch nur annähernd Gleichwertiges
zu fchaffen, dazu fehlte Memling dasCempera-
ment des Kolmarer Meißers; bei ihm wahrt
auch diefe Geftalt in Haltung und Miene eine
gelaffene Ruhe, die ein ftärkeres Intereffe an
ihr nicht aufkommen läßt. Schließlich darf nicht
überfehen werden, daß die Kreuztragung auf
der Euriner Pafßon ohne Beteiligung des Volkes
vor pd) geht, wodurch allerdings dem Vorwurf
ein gut Eeil feines lebensvollen Inhalts von
vornherein genommen wird. Man hat bei Mem-

1 3ur tHürdigung der Kunft Memlings vgl. Fried-
länder: Von Eyck bis Bruegbel. Berlin 1916, S. 55f.
und Cüinkler: Ältniederländifci)e Malerei. Berlin 1924,
S. 128 f.

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