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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Wolfradt, Willi; Dix, Otto [Gefeierte Pers.]: Otto Dix
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0975

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Otto D i x

Von WILLI WOLFRADT / Mit
zwölf Abbildungen auf sechs Tafeln1

tto Dix ift ein künftlerifcßes Elementarereignis: ein unwiderfteßlicßes Fjervorbrecßen


urfprünglicßer, ausgehungerter Kllrklicßkeitsinftinkte, — ein autodidaktifd)es Sicß-

ßinwegfefeen barbarlfcßer, grimmig-luftiger Energien über die normale Idealität
der 3ivilifation und der Ateliers, — ein rapides Erobern der Situation vermöge der
Schlagkraft primitiver, ungenierter Genialität. Ebenfo erftaunlid) das Kiefen diefer
abenteuerlichen Erfcßeinung wie der Schritt, den fie am Leibe hat. Die Selbftverftänd-
lichkeit ift das alarmierend Außerordentliche, — die Selbftverftändlicßkeit fchroff zu-
packender Geftaltung, der das Äftßeiifcße völlig fchnuppe ift, die Selbftverftändiid)-
keit des Durchdringens. In kraffefter Unmittelbarkeit, jenfeits von allem kunftgerechten
Betragen, mit fchreiender Schaubudendeutlichkeit manifeftiert fid) der harte Klaßrßeits-
wille eines ftupenden, unausweichlich treffficheren Schilderns. Der heftigen Vitalität des
Ausdrucks entfpricßt eine rebellifche Luft am fchrill Stofflichen. Elementar ift diefer
Realismus, elementar die frenetifcße Catkraft des Schaffens, elementar das Einfchlagen
diefes Outfiders in die Moderne. —
Als Sohn eines Eifenarbeiters ift Dix 1891 bei Gera geboren; die prachtvolle Auf-
fäffigkeit und Urigeftuj^tßeit feiner Natur ift proletarifches Erbteil. In der Lehre bei
einem Dekorationsmaler, bei Profefforen in Dresden, vielleicht bei Karl May. Und fehr
nachdrücklich: in dem graufigen Panoptikum Krieg. Alfo eine vorzügliche Ausbildung.
Dix ift fehl* aufrichtig und kann es noch weit bringen. Er fpricßt nicht viel und ent-
wickelt kein künftlerifches Programm, was doch immer fo gemütlich ift; er hat nur ein
paar vierfchrötige Klorte und Bewegungen und fcßafft gefährlich ftumm wie ein Crimmer.
Ein fcharfes Gefidßt, eine wie im Unmut drohend zufammengezogene Stirn, unier der
fchmale Blicke lauern. Die faffen die ülaßrheit hart, mit Codesverachtung und grau-
famem Vergnügen.
Schon 1913 blickt Dix fo aus quattrocentiftifd) ftiiifierten Selbftbildniffen, die bei ent-
fetjlid) roher Faktur feffeln durch die ungewöhnliche Intenfität der 3üge und die zeicß-
nerifche Feftigkeit. die merkwürdig berührt es, ihn hier mit entfcßloffener Jünglings-
miene in Florentiner Dreß vor einer Lilienwand oder myt-hologifchen Szenerie zu er-
blicken! Die Kuliffen ändern fiel) gründlich- Dann fteht Dix etwa mit herrifeß-betrieb-
famem Gefleht und tiptop mitten in einem Canz-Veftibül zwifeßen verfüßrerifeßen Büften
und Frifuren, in der Fauft wie eine Peitfcße den Celephonhörer, und hinter ihm fpek-
takelt feixend ein Nigger auf der Jazzmafcßine. Oder er trabt in feierlichem 3ylmder
mit dem wackern Crauergeleite neben einem langen, feßwarzen Sarg durch teilnaßms-
lofe Straßen. Oder aber er pflanzt fich breit neben das fplitternackte Modell ins Bild,
mit dem kalten Ausdrude eines Vivifektors, in abfoluter Unbeirrbarkeit und Sachlichkeit.
Nicht die Situationen als folcße find das Code daran, fondern der klirrende Spuk eines
extrem ßoeßgefpannten (und nie karikaturiftifd) explodierenden) Realismus, in deffen
Ironie fid) der Künftler einbezieht, ohne mit der Kümper zu zudeen. denn fiel) etwa
Böcklin mit dem Cod im Nacken konterfeit, fo bleibt es eine finnig-harmlofe Attitüde,
verglichen damit, wie fid) Dix in diefen Selbftporträts als Partner eines (durch äußerften
Illufionismüs) radikal desillufionierten Lebens erbarmungslos objektiviert.
In Dix wirkt fid) dämonifeße Kraft unbändig aus, deren draftifeßes Erlebnis fid) zwar
einen ganz eigenen, entfpreeßend renitenten Stil gefeßaffen hat, ohne doch je auf ein
Ausdrucksrezept fid) feftzuiegen. Seine fd)öpferifd)e Unbefcßränldßeit fteßt in deut-
lichem Gegenfajs zu dem eng definierten Schaffen des Problematikers, der beftimmte
formale Möglid)keiten geftaltend ergründen will. Dix entzündet ficß am Gegenftand,
1 Die Abbildungen mit freundlicher Erlaubnis der Kunftßandlung Karl Nierendorf, Köln.
Der Cicerone, XVI. Jagrg., geft 20 48 943
 
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