an der geilen Fülle der Revue Leben. Freilid) reagiert er nicht naiv auf das Sicht-
bare, verftrömt feinen violenten Darftellungswillen nid)t in folgfamer Einfühlung, fondern
unterwirft die Inhalte einem kritifd)en Sinn feines Uitrarealismus. Etwas Subjektives
— der Crieb, das wüfte Cingeltangel und die hold maskierte Schreckenskammer unferer
Kielt erfchütternd unverblümt zur Sd)au zu ftellen — faugt fenfationelle Stofflichkeiten
heran. Die expreffive Aktivität diefes Schaffens drängt zu den Inhalten und läßt alle
ftiliftifd)en und tcchnifd)en Möglichkeiten zunächft offen. Dix hat früher wuchtige
Landfcßaften, fdhwärmerifche Idyllen gemalt, es gibt mikroskopifd)e Realftudien, fogar
eine Nietjfche-Büfte aus feinen Anfängen. Nod) tyzute, da die Sicherheit der Intentionen
außer jedem 3weifel fteh)t, ift diefe Produktion derartig vielfd)id)tig und mannigfaltig,
daß man es nicht wagen kann, ißr in irgendeiner Fjinfid)t Grenzen zu ftecken. Im
Augenblick begeiftert ißn fein Kindchen, und fein harter Stil wird zartklare Durd)-
fid)tigkeit, indem er es malt, radiert, zeichnet. Man kann fid) bei Dix auf Alles gefaßt
machen, — und wird doch noch feine Überrafcßung erleben. Er braucht den weiten
Spielraum und hat die Extravaganz im Blute. Nach dem Kriege verfd)lug es ißn
zu den Dadaiften, metl)odifd)en Bekennern des tlnfugs, die alles Klürdige durch iro-
nifd)es Camtam ßaranguierten. Im Sinne diefer künftlerifcßen ürapezanard)iften hat
Dix aus Staniol und fonftigem Scßund allerlei mordsmäßiges 3eug, knalligbunten
Überkitfcl), Feerien in Matrofengefd)mack fabriziert. George Grosz muß ißm Ent-
fcßeidendes gegeben tyaben, obwohl er nur ganz vorübergehend die Fjandfcßrift
beeinflußt hat. Aber die Macht feines Vorbilds ift bis heute bei Dix fpürbar, in
deffen Arbeiten die Analyfe auch immer noch wieder auf klare Dadaismen ftoßen
kann. Selbft den ünabßängigften beftimmen die Erlebniffe, reißen Strömungen in ihre
Richtung hinein. Von Nachahmung einer Manier aber war bei Dix niemals die Rede.
Aud) Grosz ift bei weitem definierter als der nun völlig autonom neben ißm fteßende
Dix, gewiß nicßt formaliftifd), aber politifd), — ein Spezialift gegenüber der unaus-
ahnlid)en Vielfältigkeit tßematifd) und technifd) frei verfügender Bravour. Fjeute Beider
Leitungen aneinander zu meffen — wie oft gefd)iel)t — ift müßiges Beginnen: freuen
wir uns, daß wir zwei folcße Kerle haben! —
Dix hat einmal fcßöne Blumen gemalt — vielleicht kann er es wieder einmal, jefet
wäre ißm deren Leben woßl zu ftill und freundlich- 3war Fah man kürzlich eine
Lortenapotheofe von ißm, eine einzige zudcerfüße Fjerr!id)keit wje aus einem Bilderbuch
für ganz artige Kinder, und drüben fd)webte ein kleiner Putto-Konditor. Aber das
war ein parodiftifd)er KIunfd)traum. Dix hat überhaupt einen Fjeidenfpaß damit, ficß
und uns die Genüffe diefer Kielt in all ihrer effektvollen Pracßt auszumalen: die Poefie
des Sonntagfpaziergangs ins Grüne, die blendenden Klunder des 3irkas, die prangende
Anmut der tätowierten Dame und die Freuden des Bordells. Es ift ein Stück Roman-
tik dabei, irgend eine rebellifche Seßnfucht nach vulgären Belüftigungen und Kitfcßorgien,
nach ehrlichen Reißern und fd)undigem Konfekt, — in Reaktion gegen Vornehmheit
und Kultur und allen komplizierten Schwindel. Diefe Inverfion des Gefcßmacks liegt
wol)l überhaupt in unferer 3eit, entfprid)t zudem der allgemeinen Vorliebe für Diffo-
nanzen und Kontrafte; bekommt oft auch einen fozialpathetifcßen Nebenfinn. Speziell
in der erotifcßen Sphäre gibt es diefe Flucht in die Primitivität, ins Ordinäre. Ißre
Sentimentalität wie ißr 3ynismus finden in der ganzen jüngften Dichtung Kliderhall;
in tragifcßer Großartigkeit wird fie produktiv bei Kledekind. Die „Bücßfe der Pandora“
wirkt faft gedämpft und verföhnlid) neben den furchtbar burlesken Fjurenbildern von
Otto Dix, neben dem folternden Rigorismus feiner Schilderung. Aber kein zweiter
wol)l ift an deffen geiftigen Vorausfefejungen fo direkt beteiligt wie der fanatifcße Über-
winder des bürgerlich Legitimierten auf dem 'Cßeater, der den 3a'kus liebte, das Grelle,
mit Peitfcßen Knallende, — der Jack den Auffälliger gewagt hat. Auch diefe Fiuren-
bilder find graufam perfiflierte Fata Morgana; es ift malerifcßes Gaudium dabei, das
[ich weidet an der wilden Pßantaftik verzweifelt herausgefcßminkter Flexen, vielleicht
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bare, verftrömt feinen violenten Darftellungswillen nid)t in folgfamer Einfühlung, fondern
unterwirft die Inhalte einem kritifd)en Sinn feines Uitrarealismus. Etwas Subjektives
— der Crieb, das wüfte Cingeltangel und die hold maskierte Schreckenskammer unferer
Kielt erfchütternd unverblümt zur Sd)au zu ftellen — faugt fenfationelle Stofflichkeiten
heran. Die expreffive Aktivität diefes Schaffens drängt zu den Inhalten und läßt alle
ftiliftifd)en und tcchnifd)en Möglichkeiten zunächft offen. Dix hat früher wuchtige
Landfcßaften, fdhwärmerifche Idyllen gemalt, es gibt mikroskopifd)e Realftudien, fogar
eine Nietjfche-Büfte aus feinen Anfängen. Nod) tyzute, da die Sicherheit der Intentionen
außer jedem 3weifel fteh)t, ift diefe Produktion derartig vielfd)id)tig und mannigfaltig,
daß man es nicht wagen kann, ißr in irgendeiner Fjinfid)t Grenzen zu ftecken. Im
Augenblick begeiftert ißn fein Kindchen, und fein harter Stil wird zartklare Durd)-
fid)tigkeit, indem er es malt, radiert, zeichnet. Man kann fid) bei Dix auf Alles gefaßt
machen, — und wird doch noch feine Überrafcßung erleben. Er braucht den weiten
Spielraum und hat die Extravaganz im Blute. Nach dem Kriege verfd)lug es ißn
zu den Dadaiften, metl)odifd)en Bekennern des tlnfugs, die alles Klürdige durch iro-
nifd)es Camtam ßaranguierten. Im Sinne diefer künftlerifcßen ürapezanard)iften hat
Dix aus Staniol und fonftigem Scßund allerlei mordsmäßiges 3eug, knalligbunten
Überkitfcl), Feerien in Matrofengefd)mack fabriziert. George Grosz muß ißm Ent-
fcßeidendes gegeben tyaben, obwohl er nur ganz vorübergehend die Fjandfcßrift
beeinflußt hat. Aber die Macht feines Vorbilds ift bis heute bei Dix fpürbar, in
deffen Arbeiten die Analyfe auch immer noch wieder auf klare Dadaismen ftoßen
kann. Selbft den ünabßängigften beftimmen die Erlebniffe, reißen Strömungen in ihre
Richtung hinein. Von Nachahmung einer Manier aber war bei Dix niemals die Rede.
Aud) Grosz ift bei weitem definierter als der nun völlig autonom neben ißm fteßende
Dix, gewiß nicßt formaliftifd), aber politifd), — ein Spezialift gegenüber der unaus-
ahnlid)en Vielfältigkeit tßematifd) und technifd) frei verfügender Bravour. Fjeute Beider
Leitungen aneinander zu meffen — wie oft gefd)iel)t — ift müßiges Beginnen: freuen
wir uns, daß wir zwei folcße Kerle haben! —
Dix hat einmal fcßöne Blumen gemalt — vielleicht kann er es wieder einmal, jefet
wäre ißm deren Leben woßl zu ftill und freundlich- 3war Fah man kürzlich eine
Lortenapotheofe von ißm, eine einzige zudcerfüße Fjerr!id)keit wje aus einem Bilderbuch
für ganz artige Kinder, und drüben fd)webte ein kleiner Putto-Konditor. Aber das
war ein parodiftifd)er KIunfd)traum. Dix hat überhaupt einen Fjeidenfpaß damit, ficß
und uns die Genüffe diefer Kielt in all ihrer effektvollen Pracßt auszumalen: die Poefie
des Sonntagfpaziergangs ins Grüne, die blendenden Klunder des 3irkas, die prangende
Anmut der tätowierten Dame und die Freuden des Bordells. Es ift ein Stück Roman-
tik dabei, irgend eine rebellifche Seßnfucht nach vulgären Belüftigungen und Kitfcßorgien,
nach ehrlichen Reißern und fd)undigem Konfekt, — in Reaktion gegen Vornehmheit
und Kultur und allen komplizierten Schwindel. Diefe Inverfion des Gefcßmacks liegt
wol)l überhaupt in unferer 3eit, entfprid)t zudem der allgemeinen Vorliebe für Diffo-
nanzen und Kontrafte; bekommt oft auch einen fozialpathetifcßen Nebenfinn. Speziell
in der erotifcßen Sphäre gibt es diefe Flucht in die Primitivität, ins Ordinäre. Ißre
Sentimentalität wie ißr 3ynismus finden in der ganzen jüngften Dichtung Kliderhall;
in tragifcßer Großartigkeit wird fie produktiv bei Kledekind. Die „Bücßfe der Pandora“
wirkt faft gedämpft und verföhnlid) neben den furchtbar burlesken Fjurenbildern von
Otto Dix, neben dem folternden Rigorismus feiner Schilderung. Aber kein zweiter
wol)l ift an deffen geiftigen Vorausfefejungen fo direkt beteiligt wie der fanatifcße Über-
winder des bürgerlich Legitimierten auf dem 'Cßeater, der den 3a'kus liebte, das Grelle,
mit Peitfcßen Knallende, — der Jack den Auffälliger gewagt hat. Auch diefe Fiuren-
bilder find graufam perfiflierte Fata Morgana; es ift malerifcßes Gaudium dabei, das
[ich weidet an der wilden Pßantaftik verzweifelt herausgefcßminkter Flexen, vielleicht
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