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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Martinie, Henri: Rückblicke
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0802

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R ü dt b 1 i ck e

Von H. MARTINIE

Die Äusftellung der Schweizer Kunft in Paris
Es gibt für die Künftler und das Publikum nichts Nützlicheres und 3uträglid)eres als diefe „Rück-
blicke“, die jetzt in Paris zur Gewohnheit werden. Faft immer bieten pe fehr wertvolle Belehrungen
und geben dem Orteil unfchä^bare Anhaltspunkte. H^r erleben wir Kunßgefchichte. Denn es
kommt vor, daß durch ihre Offenbarungen wahre Revolutionen in der Gefehlte mancher Epochen
bewirkt werden. Dies war der Fall bei der Husßellung der franzößfehen Primitiven 1904, die
allen Befuchern unvergeßlich geblieben iß, denn pe ftürzte die überlieferten Ideen über die An-
fänge der franzöpfchen Malerei vollkommen um. Dann kamen, nach anderen, die wundervollen
Ausßellungen holländifcher und ßämifcher Kunß in den letzten beiden Jahren, ttlir bedauern, daß
die gegenwärtige Äusftellung, die die Schweizer Kunß vom 15. —19. Jahrhundert umfaßt, den
früheren fo wenig ebenbürtig ift.
Der Ruhm Fjolbeins bleibt ganz außer Frage— gewiß. Aber iß es nicht eigentümlich, daß man,
um ihn den Parifern noch näher zu bringen, nichts anderes zu pnden gewußt hat, als feine Por-
träts des Erasmus von Paris, die alle Kunßliebhaber gefehen und immer wieder gefehen haben?
Allbekannte ülerke in einen anderen Saal hängen und für das Recht, pe anzuphauen, was im
Louvre nichts koßet, fünf Francs abverlangen, das heißt, das Publikum ausnüfeen. Andere Stücke
hätten, wenn auch nicht beffer, fo doch erfchöpfender den großen Porträtißen vertreten follen, und
fein „Coter Chrißus“ erfüllt wenig die Hoffnungen, die die Ausßellung erweckt hatte.
Jedoch bietet der Befud) nicht nur Enttäufchungen dank den Primitiven: Konrad Cüitz (Szenen
aus dem alten Leßament, befonders diefer „wunderbare Fifchzug“ köftlid) in feinem Beßreben
nach naiver Olörtlichkeit, mit feinen dem täglichen Leben entlehnten Einzelheiten); Nikolaus
Manuel, von einer überfeinerten Phantape, der mit feinen betont volkstümlichen Formen als einer
der Perfönlichften, vielleicht als der Shweizerifchße der Schweizer Künßler erfcheint; Hans Fries,
voll rheinifcher Reminifzenzen. Später, im 18. Jahrhundert, erfcheint Liotard, eine eigenartige
Erfcheinung, ungerechterweife verkannt: Genfer von Geburt, von Kultur Franzofe, durch Tein
abenteuerliches Leben von Venedig nach Konßantinopel geführt — ohne andere Reifen zu zählen —,
fo wurde er zum fpäter vergebenen Vorläufer des Orientalismus. 3eichnungen von lebhafter Beob-
achtungsgabe, Paßellporträts (befonders die von Favart und von Mme. Epinay, auch diejenigen
von Mme. Sarapn Liotard) fichern ihm einen ehrenvollen Platz in der Gefolgfchaft von Quentin de la
Cour. Die Modernen vertreten Leopold Robert (eines feiner Bilder iß ebenfalls dem Louvre ent-
iehen) und Gleyre; nichts Neues ift dem, was wir von ihnen wißen, hinzuzufügen. Dafür geben
Böcklin und Hodler, gut vertreten, ein überzeugendes Beifpiel einer abfchreckenden Malerei. Der
fentimentale und alberne Allegorismus des einen, der armfelige und forcierte Symobismus des
anderen pnd nicht nur unmodern, fondern falfch im Prinzip. Gefchicktes Handwerk aber ohne
Originalität bei Böcklin, rohe Ausführung bei Hodler pnd nicht dazu angetan, das Anfeßen ihrer
überfdhäfzten merke zu erhöhen.
Äusftellung alter Lüttidjer Kunft
Diefe Äusftellung bietet nichts Außergewöhnliches, keines jener Meißerwerke, die im Gedächtnis
haften bleiben. Aber die dort vereinigten, fehr verfchiedenen Gegenßände — Bilder, Skulpturen
Miniaturen, Goldfchmiedearbeiten, Möbel — zeigen eine fehr alte Kultur im Lütticher Land und
beweifen, daß es auch auf dem Gebiete der Kunß eine „gute Gefellfchaft“ gibt. Alles zeigt hier eine
verfeinerte Vornehmheit und den pherßen Gefchmack. Künßler und Kunßhandwerker hatten
wahren Cakt, eine glückliche Fähigkeit, ph anzupaßen und es zur Vollkommenheit zu bringen
Überf. L. Pr.

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