Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

DOI Artikel:
Glaser, Curt: Edvard Munch
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.41564#1042

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Edvard Mund)

Von CURT GLASER / Mit
10 Abbildungen auf 5 Tafeln1

ollte man vor zeßn Jahren, in der 3eit, als er naeß langen Ulanderjaßren in der


Heimat fiel) feßßaft gemacht ßatte, Edvard Muncß auffueßen, [o mußte man von

¥ v Kriftiania entweder zu Scßiff oder mit der Baßn eine Strecke ßinausfaßren in
ein kleines, reizlofes, ja ßäßließes Fabriksftädtcßen, ein norwegifeßes Städtcßen, wie man
es aus Romanen Knut Fjamfuns kennt, mit ein paar Läden, ein paar Fabriken, mit
niederen, kleinen Mietsßäufern, mit einem Fjafen, in dem es naeß Cran und Ruß rieeßt.
Es moeßte dem Fremden feßwer verftändlicß [ein, was Muncß veranlaßt ßaben konnte,
gerade an diefern Ort [einen öCIoßnfiß aufzu[cßlagen, um [o feßwerer, wenn man das
wundervoll draußen am Fjord gelegene F)aus kannte, das ißm geßörte, ein waßres land-
fcßaftlicßes Paradies mit einer tiefen Bucßt, mit roten Fel[en, die von dem Ulaffer des
Meeres be[pült werden, mit weit ins Land anzeigendem Ulald und einem ßerrlicß
[onnigen Garten.
Muncß fußr von 3eit zu 3eit naeß Hvitften ßinaus, wenn die Unruße ißn trieb, von
der er be[e[[en war, aber es wurde ißm nießt reeßt woßl inmitten von [o viel Scßönßeit,
er füßlte [icß nießt angeregt zum Scßaffen, da um ißn alles von Natur und Men[cßenßand
[o unübertreffließ gebildet war, er braueßte eine 01Ierk[tatt, wie er in Moß jle [icß ßer-
gerießtet ßatte, in einem öden iüoßnßaufe, in dem früßer ein ßalbes Duzend Familien
geßau[t ßatte, und das ißm nun ganz allein geßörte, unmöbliert wie es war, mit [einen
endlo[en 3immerreißen, deren trüb[elige Ärmeleutetapeten Muncß als ver[cßiedenfarbige
Hintergründe für Bilder, die er plante, waßrßaft begeifterten. In all diefen 3immern
gab es kaum meßr als ein Bett und ein paar Stüßle und einen Eifcß, aber Maluten-
[ilien und Druckgeräte und Haufen grapßifcßer Blätter und in Kammern verfteckt Stapel
von alten und neuen Bildern, von denen Muncß fiel) nur feßwer trennte, die [eine ÜLIelt
waren, an der er weiter zimmerte und baute, blind gegen eine Umgebung, die keine
war und am wenigften ißn darum zu beunrußigen vermoeßte.
Man mußte diefes Haus und diefe Stadt einmal gefeßen ßaben, um die Kunft diefes
Mannes ganz zu begreifen. Man mußte es einmal felbft erlebt ßaben, wie diefe Kunft
nießt aus einem woßlgepflegten Garten füdlicßer Scßönßeit, [ondern aus dem trüben
Grau nordifeßer Düfternis erfproffen war, wie gleicß den Erzäßlungen [eines Lands-
mannes Knut Hamfun das nücßtern alltäglicße Einerlei aueß [einen Bildern den Boden
gegeben ßatte, dem bildnerifcße Pßantafie eine traumßaft überwirkließe Märcßenwelt
entzauberte.
Es gibt keine Bezießung außer der des Gegenfaßes zwifeßen der Ulirklicßkeit, die ißn
umgibt, und der Pßantafiewelt, die Muncß in [einen Bildern prägt, gleichgültig, ob er die
Landfcßaft malt oder Häufer oder Menfcßen und Eiere. Darum braueßt er nießt einen
koftbareri Brokat als Hintergrund und einen künftlerifcß gebildeten Stußl, wenn er etwa
ein Porträt zu malen beginnt, denn dureß [eine Kunft allein verzaubert er die niedere
(Oirklicßkeit, und er darf gefcßmacklos [ein im gewößnlicßen Verftande des ödortes, ja,
er muß es [ein, da vorgebildete Form nur ein Hemmnis ift, und da [eine Kunft felbft
auf ein anderes abzielt als darauf, gefcßmacklicße Senfationen zu erregen.
Ulenn etwas dureß lange 3eit Muncß den Erfolg bei der Mitwelt verbaut ßat, wenn
etwas noeß ßeute dem Verftändnis [eines Scßaffens gerade in Ländern, die an der Ent-
wicklung des Kunftgefcßmackes in den drei Jaßrßunderten der Gefcßicßte der Malerei,
die ßinter uns liegen, lebendigen Anteil genommen ßaben, im iUege [teßt, [o ift es
diefer Gegenfaß, der als ein Mangel empfunden wurde und nießt wenigen noeß ßeute
1 3u der im leßten Früßjaßr von der Neuen Galerie in CDien veranftalteten Edvard Muncß-
Husftelluug feßrieb Prof. Glafer das ßier mitgeteilte Vorwort des Kataloges, dem 1925 im „Cicorone“
ein umfaffender Gefamtüberblick über das Scßaffen des Künftlers im leßten Jaßrzeßnt folgen wird.

1110
 
Annotationen