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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Beitz, Egid: Die Quellen der Kruzifixe aus Neumünster zu Würzburg und aus Heinrichs
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0750

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Die Quellen der Kruzifixe aus Neumünfter
zu (üürzburg und aus ßeinridjs
Von EGID BEITZ / Mit einer Tafel (S. 717)

3u dem vor kurzem t)ier (1924, S. 231 ff.) ver-
öffentlichten eigenartigen Kruzifixus aus Hein-
richs, der den gleichen ikonographifchen Ideen
entfprungen ift, wie der Gekreuzigte in der Neu-
münfter Kirche zu Cüürzburg, fagt Cüalter Paf-
farge: „Allem Anfdbein nach ftellt diefe Form
des Gekreuzigten ein Mittelding dar zwifdjen
dem eigentlichen Kruzifixus und den um diefe
3eit in der Plaftik neuauftretenden Schmerzens-
mann. ... Es fpielen alfo um die Mitte des
14. Jahrhunderts die Darstellung des Gekreu-
zigten und des Schmerzensmannes häufig inein-
ander, ehe fie als getrennte Ströme ihren ge-
ordneten Lauf nehmen.“
Diefe Ruffaffung trifft meines Erachtens nicht
den Geift, aus dem heraus jene Kruzifixe ent-
ftanden find. Sie überfeinen vielmehr einen Ge-
danken der Literatur in die Plaftik, der damals
fchon recht alt war, und der in dem Heraus-
wach fen der Pieta aus der Literatur eine Pa-
rallele hat. Nur ift die Pieta, nachdem pe ein-
mal plaßifch gefchaffen war, Rllgemeingut bis
auf den heutigen Cag geworden, während folche
Kruzipxe wie in Cüürzburg und Heinrichs für
immer Einzelerfcheinungen geblieben find. Sie
pnd auch offenbar bald nicht mehr verpanden
worden, fo daß ihre Geßaltung zur Legende
Rnlaß gab. In Cüürzburg erzählt fie, daß der
Gekreuzigte dort früher eine koßbare Krone auf
dem Haupte getragen habe. Ein Dieb habe
pch diefer Krone bemächtigen wollen, da habe
Chriftus die urfprünglich wie bei allen anderen
Kruzipxen ausgebreiteten Rrme übereinander-
gelegt und damit den Dieb feßgehalten. Diefe
Stellung habe dann der Gekreuzigte als war-
nendes Beifpiel beibehalten.
Schon die recht grobe Faffung der Legende,
die Chrißus eine ganz ordinäre Polizeifunktion
zumutet, läßt es wahrfcheinlich erfcheinen, daß
die Erzählung nicht im Mittelalter entftanden
ift. Die mittelalterlichen Legenden pnd durch-
weg feiner und tiefer; und auch der Gedanke,
der die beiden Kruzipxe zu Cüürzburg und Hein-
richs hervorgebracht hat, führt auf die Höhe
mittelalterlicher Myftik und Gottesminne.
Die Rrme des Gekreuzigten pnd leer und doch
drücken pe, wenn man fich einmal ganz in ihren
Geftus vertieft, irgend etwas in inniger Um-
armung an die Bruß. Man kann dabei an folche,
von der Kunft oft dargeßellten myftifchen Er-
lebniffe denken, wie pe der hl- Bernhard gehabt
hat, als er von Chrißus am Kreuze umarmt
wurde. Es gibt fogar noch frühere Viponen
ähnlicher Rrt, wie z. B. diejenige des Rupertus
von Deutj (geß. 1135), der erzählt: Einß be-

trachtete er das auf dem Rltar ßehende Bild
des Gekreuzigten. Chrißus richtete deutlich feine
Rügen auf ihn, und er fehnte fich, ihn zu um-
faßen. Indes es war nicht möglich, da das
hohe Bild über dem Rltare hing und der Rltar
felbft ihm den 3utritt wehrte. Da ößnete pch
wunderbarerweife der Rltar von felbft und Ru-
pertus trat in Verzückung zu den Füßen des
Kreuzes. Er umfaßte den Heiland und küßte
ihn, und der hohe Geliebte ößnete die Lippen,
um den Kuß der Liebe zu erwidern. Himmlifche
Cüonne ließ er auf den Hingerißenen nieder-
ßrömen1.
Iß Rupertus noch ßark handelnd in feiner Vi-
pon, fo bleibt St. Bernhard ßärker pafpv und
wird vom Gekreuzigten umarmt. Das ift an pch
fchon eine Steigerung, wie pe die mittelalter-
liche Entwicklung der Heilandmyßik mit pch
bringt. Das Gebet, das beim hi- Bernhard zu
der Vipon führte, wird in der Dichtkunß oft
unter Rnlehnung an das auf ihn zurückgeführte
Lied Rve mundi salutare aufgegrißen und mit
allen Reizen der religiöfen Poepe ausgeßattet.
Hierhin gehört vor allem eine Klage des hl- Bern-
hard, die aus der 3eit der beiden Kruzipxe
ßammt und in Mitteldeutfchland entßanden iß.
Sie wendet pch — wie es auch oft vorkommt
— zuerß an die Füße, dann an die Seite, die
Bruft, die Hände und fchließlicb an das Antlifj
des Gekreuzigten und fagt hier:
Verfmeße mich niht fnoeden armen,
lä mich fünder dich erparmen,
neig din houbt, fö ich nu fterbe,
zuo mir, daz ich gnäde erwerbe,
fmücke mich an din reine pruß.
Rls nu fant Bernhart in grözer begirlicher inni-
keit dife wort gefprodien het, dö neigt fich
daz marterpild ab dem kriuze und umb-
vieng in mit finen verwunten armen zuo
einem wären Zeichen, daz im diz gepet garan-
geneme were* 3.
Das Lied fdßießt mit dem Cüunfche um einen
guten Cod. Gedanken diefer Rrt pnd als be-
fonders für die Sterbeftunde geeignet im Mittel-
alter auch in Sterbegebeten vor allem zum Aus-
druck gekommen. Rlbrecht Dürers Vater z. B.
wird unter einem ähnlichen Gebet verfdjieden
fein: „ünd do er in das Bett kam, hätt er von
Stund an in die 3üg gegrißen. Alsbald hätt
ihm die alt Frau das Licht angezündt und ihm

1 Rod)oll, Rupert von Deut}. Güterslot) 1886, S. 54.
3 Bartfd), Die Erlöfung. Baffe, Quedlinburg 1858,
S. 225 ff.

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