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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Edschmid, Kasimir: Die Darmstädter Sezession
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0663

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Die Darmftädter Sezeffion
Mit acht Abbildungen auf vier Tafeln und einer Abbildung im Text Von KASIMIR EDSCHMID
Die 3eiten, wo man Stile definierte, pnd vorbei. Auch diejenigen, wo man pe be-
lächelte. Das Publikum und die Kenner haben zehn Jahre lang den Exprefpo-
nismus bejubelt, beftaunt und verachtet, fie haben pd) ihm, kurz gejagt, menfdp
lid) gezeigt. Nun ift man müde des einen wie des anderen, und die Kunft hat ihre
fchwerfte 3eit. Sie bemüht pd) nicht gegen und nicht mit dem Publikum zu mar-
fepieren, fondern nebenher zu laufen. Sie marfd)iert quand meme. Diefer 3uftand ift
beftimmt fcpeußlid), aber er verleitet den Befchauer zu gewiffen Neugierden und den
Beobachter zu gewiffen Konftatierungen. Vor allem muß man nicht vermeiden zu
fehen, daß die Kunft in ihrem Betrieb den wirtfchaftlichen Gefeljen unterliegt wie andere
Objekte aud). Der 3ußand des Krieges, der alles Inländifche weit über die Norm im
(Oert fteigerte, hat die zeitgenöfpfche Kunft gefördert. Der 3uftand der Inßation hat
den Gegenftänden der Kunft den Ulert gegeben wie jedem Anlageobjekt. Flüchtete
man im Krieg in das Ideale der Kunft, fo war fie während des Nonvaleur-Standes der
Mark die Unterkunft für fd)led)ter werdende Geldforten. Die Stabiliperung der COäh"
rung, fo fragmentarifd) pe ift, jagte nunmehr die Kunft wie die Induftrie durch eine
Kette von Kataftrophen. (Uas macht die Kunft alfo, nachdem pe wie die Fjeldin eines
deutfehen Schickfaldramas verklärt, gepaßt, zu üod geläcpelt wurde, wenn pe pd) plötj-
lid) einem zahlungsunfähigen Publikum von Landsleuten gegenüberpept? Ulelcpe
feelifcpe Richtung fcplägt fie ein, wenn die paar kapitaliftifcp leiftungsfäpigen Sammler
pd) lieber zu den internationalen Objekten des franzöfifepen Imprefponismus wenden,
die mit dem fallenden Franken billig gepamftert wurden.wenn das Stahlwerk
Becker, Europas wundervollfte Präzifionsanlage, kein Geld pat, um die Ulecpfel und
Arbeiter zu zahlen.ja welche Stimmung ergreift die Kunft, wenn pe beobachtet,
daß die Revolution ipr keinen Segen gebracht pat, fondern Deutfcpland eine Menge
geiftiger 3enfren genommen pat, die nunmehr hoffnungslos verprovinzialifieren? An
allen 3eit9efcpehniITen find niept die Fragen, fondern die Antworten wichtig. Man
muß daper genau unterfuepen.
Die Meprzapl der deutfepen wichtigen Kunft wurde niept in den zwei Großftädten,
fondern in der Provinz gemacht, die eben niept im franzöfifepen Sinn Provinz war.
Man wird pier die beften Beobachtungen machen. In Frankfurt find die bedeutendften
Uraufführungen von Cpeaterftücken geftartet worden, in Düffeldorf war die erfte inter-
nationale moderne Ausftellung nach dem Krieg, in Darmftadt die erfte Gefamtfcpau über
die Malerei der Epocpe, in Uleimar zentraliperte pep die Idee des Baupaufes. Faft alle
Dichter des modernen Deutfcplands wopnen und wirken auf dem Land oder in der Provinz.
In München, Dresden und Düffeldorf pnd die radikalften Gruppen der Malerei zu Fjaufe
gewefen. In Darmftadt, Frankfurt, München wurde der neue Regieftil kreiert. Das
ganze Deutfcpland patte nie einen künftlerifcpen Mittelpunkt, fondern war immer ein
fcpwingendes riepges Rad, an dem die Peripherien oft die bezauberndften Aufent-
halte waren.
Die lebten Feldgefcpreie der Männer, die um der Sache oder um ihrer Perfon willen
vermeinten, nervös wie gewiffe Uleiber die Verlaufe der Kunft mit wecpfelndem Ge-
tös verfolgen zu müffen, die leßten Feldgefcpreie, wie gefagt, waren diejenigen, der
Exprefponismus fei tot, woraufhin man neue junge Leute propagieren zu müffen glaubte.
Blamablerweife waren diefe niept vorhanden, ebenfowenig gewiffe Nazarener oder
Naturaliften, deren Uliederkommen man fälfcplicperweife aus der Parallelbewegung der
Börfenkurfe erkennen zu können glaubte, je nachdem diefe matt oder romantifcp pep
entwickelten. Es fepeint, als ob diefe Leute nunmehr, nachdem fie die feitperigen
Füprer „gefcplacptet“ und „erledigt“ patten, in dasfelbe peinliche Schweigen verfallen
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Der Cicerone, XVI. Jai)rg., ßeft 14

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