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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Wolfradt, Willi: Johann Erdmann Hummel (1769-1852): (gelegentlich eine Ausstellung in der Berliner Nationalgalerie)
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Roh, Franz: Ein neuer Henri Rousseau: zur kunstgeschichtlichen Stellung des Meisters
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0741

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der Schaukaftens ufw. fd)arf planimetrifch auszieht und alle Spieen und Rüfcßen der
Auslage fowie Hutband und Mufterung des Capetudßes höchft delikat und bezaubernd
fein nad)bildet, kulminiert in der Mannigfaltigkeit der Spiegelungen. Nicht allein die
Glastüren und der Fond der Vitrine repetieren in reizendem öüechfel Menfchen, Ge-
bäude und Galanteriewaren, wobei einfache und doppelte Illufion einander bizarr durd)-
dringen, — überdies fpiegeln fich in der Näffe zwifdjen den Pflafterköpfen nochmals
das Gelb der Coilette und das kräftige Rot des Schirms fowie bis auf Nafenfpi&e und
Mantelfranfen genau die übrigen Paffanten famt der Drofchke im Hintergründe. Der
abziehende Regen Hüllt die Szene noch in eine bleierne Färbung, doch aus all diefen
Spiegeln blinkt es fdjon geller auf. Entzückend die Verbindung duftiger Quincaillerien
und mürrifdjen ödetters, fteifen Gebarens und raffinierter Reflexwirkungen, von Brav-
heit und Spleen, — entzückend über das Sittenbildliche hinaus durch die ftiliftifdje Pi-
kanterie. Diefer Realismus ift viel zu geiftreid), dialektifch und eigenfinnig, um je
maffiv zu erfcheinen. In feiner naiv-intellektuellen, treu-perfekten Beengtheit fteckt
dod) eine Art von Übermut, der die Sachlichkeit bis zur künftlerifchen Entftofflichung
treibt. —
Hümmels Form ift, hiftorifcH angefehen, zeitbedingt und nicht prophetifd). Jene
innere ümfchichtung des Ausdrucks, die einem Blechen die Sonderftellung in der frühen
Berliner Malerei zuweift und ihn zum Vorboten des hier dann befonders ausgebildeten
Impreffioriismus werden läßt, erfolgt feitab von feinem ödege. Jedoch behauptet [ich
Hummel unter feinen direkten 3eitgenoffen Hintje und Brücke, Graef, Gaertner und
Krüger mit dem Nachdruck einer Perfönlichkeit, die hervorragend beteiligt gewefen ift
an der Gewinnung einer bildlichen Definition der preußifchen Hauptftadt. Die Intenfität
und Straffung, der heimliche Radikalismus feiner Kunft könnte die Gegenwart über
jede frühere ödirkung und Bedeutung hinaus fafzinieren.

Ein neuer Henri Rouffeau
3ur k u n ft g e f d) i d) 11 i d) e n Stellung des Meifters
Mit fünf Abbildungen auf drei Tafeln Von FRANZ ROH
Ein wundervolles Ölbild fei hier eingeführt, das in der bisherigen Rouffeau-Literatur
nicht vorkommt. Es befand fiel) in franzöfifchem Privatbefitj, ging dann an die
1 Galerie Simon über und wanderte jüngft in eine amerikanifche Privatfammlung.
Es mißt 1,35X2,00 m, ift vollftändig, in durchaus glaubwürdiger Art figniert und trägt
das Datum 1897. Das Bild ift identifd) mit einem 1897 von Rouffeau ausgeftellten
(üerk. Nichts anderes liegt vor als die im gleichen Jahre in der Lifte des „Salon des
Independants“ aufgeführte, fogenannte „Bohemienne endormie“.
Das Bild ift der älteren Generation der Kunftkrilik, zum Beifpiel üabarant, auch
wohl bekannt gewefen und man erinnerte fich feiner noch von der Ausftellung her.
Der Beßrer zeigte es aber dann nie öffentlich, weshalb es in der Rouffeauliteratur,
die allein von der jüngeren Generation ftammt, nicht auftrat.
Die allgemeine Farbftimmung ift blaugrün. Der Löwe ift gelb, die Bohemienne weiß
und hellgrün geftreift.
Bildanaly fe
Kahles, erftorbenes Mondgelände in nächtlicher Ödnis. Alles in regungslofer Stille,
nirgends Vegetation aufgrünend. Genau in die Mitte der Bildfläche gefeuchtet, gleich-
mäßig weit von oben, unten und den Seiten her entfernt, fteht in fcharfer Silhouette
ein Löwenuntier, mythenhaft ragend über dem Land, fchweigendem Gewäffer und
fchimmernder Bergferne. Hoch hineinfchneidend in troftlos kahle Fläche des Himmels,

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