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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Boll, Walter: Stuttgarter Kunstsommer
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0901

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Stuttgarter Kunftfommer
Von WALTER BOLL

Recht fpät hat man pcb in Stuttgart entfchloffen, dem Beifpiel anderer deutfcher Städte feit
Kriegsende zu folgen und [ich einen Platj unter den Kunftftätten zu erhalten oder zu er-
• werben. Die Veranftaltungen diefes Jahres in Stuttgart, unter dem Namen „Stuttgarter
Kunftfommer“ zufammengefaßt, bekunden allein fchon ihrem Äufwand und ümfang nach den ent-
fd)loffenen millen, das bisher Verfäumte mit großen Schritten einzuholen.
Es bleibt allerdings zweifelhaft, ob diefer verfpätet einfe^ende Verfud) einen durchgreifenden
Erfolg haben wird.
Neben verfcßiedenen größeren Äusftellungen haben einige öffentliche Sammlungen und Private
kleinere Husftellungen veranftaltet. Eine zufammenfaffende Äusßellung der „Neuen deutfchen
Kunft“ wird ergänzt durch eine Äusftellung, die das Befte auf dem Gebiet der angewandten Kunft
zeigt, eine Bauausftellung will Änregungen und Ideen vermitteln und eine Gartenbauausftellung
die Leitungen auf diefem Gebiete zur Schau (teilen. Gleichzeitig hat die Ältertümerfammlung im
Obergefchoß des Neuen Schloffes neue Räume eröffnet, in denen die reichen Beftände des Mu-
feums befonders an mittelalterlicher Plaftik eine treffliche Äufftellung gefunden haben; dasLinden-
mufeum veranftaltet mit dem bedeutenden Material diefer Sammlung eine Äusftellung „Die Kunft
der primitiven Völker“, und die (Heltkriegsbücherei auf Schloß Rofenftein zeigt aus ihrem gra-
phifchen Ärd)iv „Das politifche Plakat der neueften 3eit“, unter befonderer Hervorhebung der
Plakate aus der Kriegszeit.
tüas in der umfangreichften Äusftellung, der Bauausftellung, an künftlerifchen vierten zu
fehen ift, befchränkt fich auf die kleine, aber durchwegs erfreuliche Äbteilung der Ärchitekturpläne,
in der die an 3ahi naturgemäß vorhergehenden württembergifchen Ärchitekten neben den be-
kannten Ärbeiten des iüalter Gropius größtenteils mit guten Leiftungen vertreten find. Äuch die
Erweiterungs- und Bebauungspläne zahlreicher württembergifcher Städte und Gemeinden geben
von einem fortgefchrittenen und gefunden Streben Zeugnis, während im übrigen ein großer Ceil
der Äbteilung für Innenausbau künftlerifch auf einem tiefen Niveau fteht.
In der Bauausftellung hat in einem befonders errichteten Gebäude die „Stuttgarter Sezef-
fion“ ausgeftellt, mit Äbficht völlig losgelöft von der Äusftellung „Neue deutfehe Kunft“, um das
fonft übliche ftörende Vorherrfchen lokaler Gruppen zu vermeiden. Die drei Säle diefer Vereinigung
enthalten eine achtenswerte 3ahl von neueren künftlerifchen Kräften der verfchiedenften Richtung,
bei denen neben ernften Begabungen auch manches Unreife und Dilettantifche auffällt, öüill man
einen gemeinfamen 3U9 innerhalb diefer Gruppe fuchen, fo läßt fich dabei ein gewiffes Streben
nach Monumentalität beobachten. Man bemerkt im übrigen nur bei wenigen Bildern ein Heraus-
wadßfen aus der Stuttgarter Cradition. — Äuch offenbaren die vielfachen, oft plumpen Änleh-
nungen, z. B. an Greco oder Hodler, teilweife eine erfcßreckende tlnfelbftändigkeit. Äm an-
fprechendften find noch die ehrlichen Bilder von Bäuerle, die Gefühl für malerifche Qualität zeigen,
oder die lyrifchen, auf einfache Form gebrachten, ftark rouffeauhaften Landfchaften und Porträts
von Schmidt, während einem die gewohnten, im Sd)lemmerfchen Fahrwaffer fegelnden Konftruk-
tionen Baumeifters gleichgültig bleiben. Pankoks Kunft bewegt fich in den bekannten Bahnen,
und ebenfo bringen die witjigen und geiftvollen Bildchen von Nägele nicht viel Neues. Äuch die
Plaftik Fehries ift aus der ftarken Äbhängigkeit von Lehmbrudc noch nicht losgekommen.
Im Kunftgebäude findet, durch die Initiative von Otto Fifcher zufammengebracht, die Äusftel-
lung „Neue deutfehe Kunft“ ftatt. Die Äusftellung will eine 3ufammenfaffung der deutfchen
Malerei und Plaftik der lebten, hinter uns liegenden Kunßepoche feit dem Impreffionismus geben.
Gegenüber den Verfuchen, die in den letjten Jahren auch an anderen Orten in ähnlicher Richtung
unternommen wurden, hat diefe Äusftellung den Vorzug, daß durch Befchränkung der 3ahi der
ausftellenden Künftler die wichtigften, als Führer geltenden Perfönlichkeiten mit einer größeren
3at)l von CCIerken vertreten pnd und dadurch klarer in ihrer Entwicklung herausgeftellt und in
ihrer Eigenart fcßärfer umriffen werden. Die Künftler erfcheinen zwar in charakteriftifchen merken,
doch vermißt man leider faft überall ihre Hauptwerke. Eine abfchließende Schau des Exprefpo-
nismus wird bei der, fogar innerhalb der einzelnen Perfönlichkeiten fo fehr fchwankenden Qualität
der modernen Kunftwerke erft dann einen endgültigen, peheriieh ganz großen Eindruck vermitteln,
wenn in forgfältigfter Äuswahl die Hauptwerke der Künftler vereinigt werden können, die fich zum
großen Ceil heute in Privatbeptj bepnden.

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