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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Bodmer, Fritz: Die neuere Leonardo-Forschung in Italien
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#1103

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Die neuere Leonardo-Forfd)ung in Italien
Von FRITZ BODMER

3um elften Male ift im lebten Januar jener
nicht allzu voluminöfe Band in die Kielt hinaus-
gegangen, der den beßheidenen Kitel „Raccolta
Vinciana“ (berausgegeben von Ettore Verga)
trägt, der aber fcbon längft für den Leonardo-
Freund zu einem eigentlichen Leonardo-Jahr-
bucb, wie das Dante- oder das Goethe-Jahrbuch
geworden ift, deffen der Forfcber nicbt mehr ent-
raten kann. Neben febr wertvollen Äuffätjen
nambafler Spezialforfdjer finden fid) hier die
von Verga felbft mit peirilid)er Sorgfalt bear-
beiteten Leonardo Regeften, die das ganze aus
«Urkunden und Lagebuchnotizen zufammenge-
tragene Material bieten, aus denen die Biogra-
pbiß Leonardos rekonftruiert werden kann. Der
vorliegende Band der Raccolta umfaßt eine groß-
angelegte Literaturüberpcbt über alle die Er-
fcbeinungen der lebten Jabre, wobei nicht nur
die Refuitate der zum Ceil in abgelegenen
3eitfd)riften erfdjienenen Ärbeiten in knapp ab-
gefaßten Auszügen zufammengefaßt find, fondern
gleichzeitig alle wichtigen Studien eine Kritik
finden, die durch die erftaunenswerte Sach- und
Materialkenntnis Vergas erhöhte Bedeutung be-
kommt. Sympatifd) mutet hier sn, daß Verga
mit dem ihm eigenen Kloblvvoilen auch den un-
fcbeinbarften Beitrag, fofern er das Studium Leo-
nardos fördert, gleichviel ob er in der Cages-
preffe oder fonft als Notiz erfcbienen ift, einer
Klürdigung für wert erachtet.
Seit einigen Jahren ift Verga Mitglied der
R. Commiffäone Vinciana, die alle diejenigen
Perfönlichkeiten umfaßt, die fid) in Italien um die
Erforfchung Leonardos verdient gemacht haben,
D.efe Kommiffion wurde 1902 durch den dama-
ligen Kultusmimfter Nafi eingefebt. Ihr 3weck
ift, alle auf Leonardo bezügliche Studien zu
fammeln, die noch uneditierten Fjandfcßriften der
Öffentlichkeit zugänglich zu machen, das große
3eid)riungsmaterial des Künftlers herauszugeben,
kurzum alle jene Vorbereitungen zu treffen, die
es einmal möglich machen werden, an die Ver-
ausgabe der Gefamtwerke Leonardos zu treten.
Denn damit würde ein längftgeßegter Klunfch
aller Italiener, welchen die Bearbeitung ihrer
großen Kulturträger am Verzen liegt, erfüllt.
Bis zum Ausbruch des Krieges gewann der
unbeteiligte Betrachter, welcher die Ärbeiten der
Kommifßon verfolgte, keineswegs den Eindruck,
als ob Klefentlicbes geleiftet worden fei, um
dem großen 3’ßl, das man fid) gefteckt, näher
zu kommen. Erft mit dem Momente, in welchem
der bekannte Geologe und frühere ünterftaats-
fekretär Mario Cermenati den Vorpij übernahm,
kam ein frifcber 3ag in die Arbeiten. 3u einer
erften Veröffentlichung wurde das in England
beßndüche Arundel-Manufkript gewählt, und
nach Überwindung unendlicher Schwierigkeiten
konnte vor einem Jahre in muftergültiger Aus-
ftattung (Danefi, Rom) der erfte Band erfcheinen,

deffen Cext Enrico Carusi und Favaro beforgten.
Damit ift der Kleg nun befcßritten zur Veraus~
gäbe weiterer uneditierter Manujkripte, von
denen die im Viktoria- und Älbert-Mufeum in
London liegenden zunäcbft folgen follten.
In der rid)tigen Erkenntnis, daß die kritifcbe
Gefamtausgabe Leonardos mangels genügender
Vorarbeiten in einer Reihe von Disziplinen noch
nicht in Angriff genommen werden könnte,
gründete Cermenati, unterpü^t durch großzügige
Schenkungen oberitalienifcher Induftrieller, das
„Istituto di Studi Vinciani“, welches ßch zur
Aufgabe ftellt, alle die in Italien im Gebiete der
Leonardo-Forfcbung vereinzelt tätigen Energien
zufammenzufaffen und planmäßig im F)inblick
auf eine großangelegte Publikation zu verwerten.
Jeder Forfcher follte zwar wiederum nur das
ihm vertraute Ceilgebiet bearbeiten, die ganze
Studienreihe, follte aber nach ihrem Äbfchluß
eine in ßch gefchloffene Gefamtdarftellung des
Künftlers bieten. Der Plan erwies pd) als
äußerft glücklich, die erften Gelehrten Italiens
fagten ihre Mitarbeit zu und heute können
wir bereits auf eine beträchtliche Reihe vorzüg-
licher Einzelftudien hinweifen, die, wenn abge-
fd)loffen, eine Gefamtwürdigurig Leonardos dar-
ftellen, wie diefelbe bisher noch kein Land beßjjt.
3unächft trat 1919 Lionello Venturi mit
einem Bande „Leonardo da Vinci und die
Kritik“ hervor. Er pellte pd) die Aufgabe, die
prinzipiellen Grundlagen und Vorausfeijungen
der an Leonardos Klerk während eines Seit-
raumes von vier Jahrhunderten geübten Kritik
aufzudecken, um daraus die Anhaltspunkte zu
gewinnen für die Klertung feines Schaffens, fo-
wie fid) diefelbe in den verfchiedencn Schulen
und bei den verfcßiederißen Autoren von Lo-
mazzo bis Burckhardt darftellt. Die Ausführungen
pnd klar und limpid und die gewonnenen Refui-
tate überzeugend. Freilid) tritt dabei immer mehr
zutage, wie wenig im Grunde genommen die ver-
fchieder ften Methoden und Betrachtungsweifen,
mit denen die Erklärung der Eigenart des Künft-
lers verfudßt wurde, hinreichend waren, um feine
Klefenheit begrifflich zu faßen und zu beftimmen.
Die zweite Studie, die Leonardo da Vinci als
Maler würdigt, ftammt aus der Feder des Alt-
meifters der italienifchen Kunpgefd)id)te: Adolfo
Venturi. In der pchern Art feines metbodifd)en
Vorgehens wird hier das ganze künftlerifche
Klerk Leonardos, wie pd) dasfelbe nad) 3ei<h-
nungen und Gemälden auseinanderlegt, gepd)tet,
gewertet, in einen organifchen 3ufammenl?an9
gebracht und dann Bild um Bild und 3eichnung
um Seichnung auf ihre künftlerifche Bedeutung
hin unterfucht. Klas den befondern Klert cer
Arbeit ausmad)t, iß der Qmftand, daß Ven-
turi den keineswegs feßr leichten Verfuch unter-
nimmt, auch bei den 3eid)nungen eine annähernde
Chronologie herzuftellen, ein Unterfangen, das

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